Meinung: Ein Kanzler wächst ins Amt

Der Koalitionsausschuss zeigt: Friedrich Merz kanzlert mit beachtlichem Elan. Geht’s jetzt bergauf? Vorsicht: So gut, wie er sich immer schon findet, ist Merz noch nicht.

Kondition hat er ja, der Kanzler. Es lag schon eine Menge Arbeit hinter Friedrich Merz, als er am Mittwochabend auch noch durch die Fernsehstudios tingelte. Kabinett, Selenskyi-Besuch, Koalitionsausschuss. Aber der Mann, der sich da präsentierte, hatte wahrscheinlich den bislang besten Tag in seinem neuen Amt hinter sich. Und das merkte man ihm auch an. Mit einer erstaunlichen „Ihr-könnt-mir-gar-nix-Attitüde“ arbeitete sich Merz mit einer beachtlichen Entschiedenheit durch seine Interviews. Er hatte, was man bei Olaf Scholz so oft vermisst hat: Freude dran.

Friedrich Merz zeigt sich trittsicher – das war zuletzt nicht immer so

Mit ersten Gesetzentwürfen hat das Regieren wirklich begonnen, der Ukraine sagte Merz beachtliche weitere Hilfen zu, und die Spitzen von Schwarz-Rot tagten vier Stunden lang in demonstrativer Harmonie. Der Kanzler hat sich an diesem Tag als Innen- wie als Außenpolitiker trittsicher gezeigt, was in den Wochen zuvor nicht immer der Fall war. Und auch wenn man nicht jedes seiner Vorhaben gutheißt, vermittelt er einen gewissen Tatendurst und auch im ganzen Auftreten mehr Elan als sein Vorgänger. Friedrich Merz: Ein Kanzler wächst ins Amt.

Ist das jetzt dieser Politikwechsel?

Gemach, gemach. Noch ist vieles nur Ankündigung, Behauptung, Versprechen. So gut, wie er sich immer schon findet, ist Merz noch lange nicht. Und eine bemerkenswert hohe Erwartungshaltung hat nicht nur das Volk an die Regierung, sondern diese Regierung umgekehrt auch an ihr Volk. Normalerweise ist es in der Politik ja so, dass man zum Beispiel die Steuern senkt, woraufhin die Stimmung steigt. Die schwarz-rote Koalition regiert einstweilen noch in der umgekehrten Reihenfolge: Erst bemüht man sich um gute Stimmung, dann werden die Steuern gesenkt. Nicht erst die Tat soll gute Laune schaffen, sondern schon ihre Ankündigung. Das aber wird nicht reichen.

62 Punkte in fünf Kapiteln hat der Koalitionsausschuss beschlossen. Ein bisschen sieht das Ergebnispapier aus, als habe man den Koalitionsvertrag einfach in eine neue Reihenfolge gebracht und von allzu viel Polit-Poesie und sonstigem Wortmüll befreit. Die Pläne hören sich jetzt an manchen Stellen konkreter an und sie sind es auch – was man von den Zeiträumen und Konkretisierungsstufen nicht immer sagen kann. Also wann was wirklich gilt und Land und Leuten zugutekommt.

„Schlag auf Schlag“ soll es jetzt gehen, sagt der Kanzler. Sein Vize spricht von „richtig Tempo“, der CSU-Chef nur von „Tempo, Tempo, Tempo“.  Bis zur Mitte des Jahres soll „für jeden sichtbar werden, dass es mit Deutschland vorangeht“, heißt es im Dokument. Und woran genau erkennt man das dann? Da werden ein paar souveräne TV-Auftritte des Kanzlers nicht reichen.

Am klarsten klingt das Versprechen von Union und SPD, der Wirtschaft zu helfen. Schon im Sommer soll das erste Geld aus dem Sondervermögen in die Infrastruktur fließen, sollen die Firmen ihre Investitionen besser abschreiben können. Anders gesagt, es sollen noch mehr Bagger fahren und neue Maschinen arbeiten, wie SPD-Chef Lars Klingbeil sagen würde. Das ist ein anspruchsvolles Vorhaben, weil es einen gültigen Haushalt voraussetzt, den Klingbeil als Finanzminister durchsetzen muss – und natürlich ausreichend Baggerfahrer.

Viele andere Projekte, vor allem die Entschlackung bürokratischer Genehmigungsverfahren, sollen bis zum Sommer „auf den Weg“ gebracht werden. Das ist eine sehr viel weichere Formulierung. Denn was genau heißt „auf den Weg“? Referentenentwurf im Ministerium in Auftrag gegeben? Oder bereits Gesetzentwurf im Kabinett verabschiedet? Oder sogar schon Gesetz durchs Parlament gebracht und vom Bundespräsidenten unterschrieben, zack, zack?

Über die Wohltaten ist man sich einig – über die Finanzierung nicht

Mancher Weg eines Gesetzes hat sich in der Vergangenheit als ziemlich lang erwiesen und endete bisweilen auch im Nirgendwo. Wer auch nur aus der Ferne erlebt hat, wie viele Jahrzehnte zum Beispiel an Punkt zwei im Kapitel Genehmigungsverfahren – dem Beschaffungswesen der Bundeswehr – schon herumgeschraubt wurde und wie viele Verteidigungsminister und -ministerinnen sich daran einen politischen Bruch gehoben haben, kann eine gewisse Restskepsis gegenüber diesem Einfach-mal-machen-Optimismus nicht abstreifen.

Und dann gibt es noch jene Teile, in denen Wohltaten versprochen, Reformen aber verschwiegen werden. Das gilt für die Abteilung Altersversorgung. Wörtlich ist da vom „Beginn einer großen Rentenreform“ die Rede. Oha! Und was heißt das nun wieder? Noch in diesem Jahr sollen das Rentenniveau auf 48 Prozent fixiert, die Mütterrente vollendet und die neue Steuerfreiheit für Zuverdienste von Rentnern beschlossen werden. Kostet alles Geld. Dazu Pendlerpauschale, niedrigere Mehrwertsteuer für Gastwirte und so weiter. Über die Finanzierung des Rentensystems aber findet sich in 62 Punkten kein Wort und auch nicht zur Einsetzung einer im Koalitionsvertrag verabredeten Kommission zu diesem Jahrhundertproblem.

Ne, ne, die Koalitionäre lassen sich die gute Laune nicht vermiesen. Und Friedrich Merz schon gar nicht. Aber das ist sicher: Es wird im Leben dieses Kanzlers auch wieder schlechte Tage geben. Mal sehen, wie er dann auftritt.

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