VW-Dieselskandal: Wenn Ingenieure in Haft müssen, sollten es auch Manager müssen

Wegen des Dieselskandals von Volkswagen müssen Ingenieure in Haft – die verantwortlichen Manager hingegen nicht. Verantwortung in der Wirtschaft sollte weiter gehen.

Der Volkswagen.Konzern nennt das, was vor dem Braunschweiger Landgericht am Montag abgeurteilt wurde, seit langem nur „Dieselthematik“. Vor Gericht aber heißt, was in Deutschlands größtem und lange untadeligsten Unternehmen vorgefallen ist, schlicht „Banden- und gewerbsmäßiger Betrug“. Schon alleine der semantischen Klarstellung wegen haben sich sechs Jahre Gerichtsverfahren, vorausgehende akribische Ermittlungen und meterweise Akten gelohnt. 

Strafen sind im Rechtsstaat maßgeblich dafür da, damit so etwas nicht wieder passiert. Dabei muss der Richterspruch aus Braunschweig helfen, dass weder bei VW, in der Autoindustrie, noch sonst wo in der Wirtschaft sich so etwas wiederholt. Strafe ist nötig, damit Verantwortliche sehen und lernen, was Verantwortung bedeutet. Nur wenn es persönliche Konsequenzen hat, wenn diese Verantwortlichen gegen lebenswichtige Schutzregeln für Menschen und Natur verstoßen, dann werden sie künftig darauf achten, dass die Vorschriften eingehalten werden.

Insofern ist es richtig und konsequent, dass die Richter in Braunschweig zwei ehemals hochstehende Ingenieure des Konzerns zu empfindlichen Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt haben. Dass es nicht irgendeine lässlich peinliche „Thematik“ war, sondern eines der großen Wirtschaftsverbrechen der jüngeren Geschichte, wird nur in den Köpfen verankert, wenn die handelnden Personen dafür auch ins Gefängnis wandern können. Es ist weder das erste noch das letzte Urteil in der Sache. Aber es ist das erste, das auch Haftstrafen nach sich ziehen könnte, wenn es denn rechtskräftig wird. Ein Ingenieur, Jens Hadler, damals Leiter der Dieselmotoren-Entwicklung im Konzern, erhielt viereinhalb Jahre. Ein anderer, Hanno Jelden, der die Antriebstechnik leitete, soll zwei Jahre und sieben Monate in Haft.

Fader Beigeschmack

Es ist gut, dass die juristische Aufarbeitung damit endlich Fahrt aufnimmt. Und vieles spricht auch jetzt schon dafür, dass die Erkenntnis „Betrug lohnt sich nicht“ in deutschen Unternehmensführungen und Entwicklungszentren weithin angekommen ist – selbst wenn hier und da immer noch mit Herablassung über Umweltvorschriften gesprochen wird.

Und dennoch hinterlässt die Entscheidung auch einen faden Beigeschmack, der Rechtsfrieden scheint noch nicht wiederhergestellt. Denn es wurden nur die verantwortlichen Ingenieure zu Haftstrafen verurteilt. Die verantwortlichen Konzernmanager kamen bislang mit Bewährungsstrafen davon. Oder sie warten noch auf ihr Urteil, wie der damalige Vorstandschef von Volkswagen, Martin Winterkorn, dessen Verfahren wegen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung abgetrennt wurde – es ist noch nicht klar, wann (und ob) es fortgesetzt wird. Auch das jetzt in Braunschweig gesprochene Urteil folgt auf den ersten Blick der Logik: je ranghöher der Angeklagte, desto geringer die Strafe. Ex-VW-Markenvorstand Heinz-Jakob Neußer und ein Abteilungsleiter erhielten vergleichsweise milde Bewährungsstrafen.

Sicher: Richterinnen und Richter müssen das Strafmaß nach dem individuellen Tatbeitrag bemessen. Sie können nicht hauptsächlich danach richten, welche gesellschaftspolitische oder wirtschaftsethische Wirkung von den Strafen ausgeht. Auch liegt noch keine Begründung vor, warum das Gericht bei den Strafzumessungen so entschieden hat.

Wenn aber die reinigende Wirkung, die von der Justiz ausgehen sollte, tatsächlich greifen soll, wäre es nötig, dass auch die Verantwortung der Konzernmanager sich in harten Urteilen niederschlägt. Denn es muss klar sein: Wer einen Regelverstoß praktisch umsetzt oder dessen Umsetzung anleitet, der muss genauso dran sein, wie Verantwortliche im Management, die solche Verstöße anregen und dulden. Topmanager werden in der Regel hierzulande gut bezahlt und wenn sie versagen, sind sie in der Regel viel besser abgesichert als andere Arbeitnehmer. Da ist es nicht zu viel verlangt, dass sie den von ihnen verantworteten Betrieb so organisieren, dass Regelverstöße ausgeschlossen sind. Es ist daher auch richtig, wenn für schwerwiegende Verfehlungen Haftstrafen ohne Bewährung verhängt werden. 

Was wusste der damalige VW-Chef vom Dieselskandal?

Interessant beim Dieselbetrug ist die Aussage des nun zu einer Haftstrafe verurteilten Maschinenbauers Jens Hadler. In einer ausführlichen Vernehmung sagte er, dass er bereits 2007 einen Disput mit Winterkorn über die Technik gehabt habe, die später zum Dieselbetrug führte. Es ging um eine verbotene Software, die die Abgasreinigung so steuerte, dass sie bei der Zulassungsprüfung eines Autos funktionierte – im Normalbetrieb aber ganz oder teilweise abgeschaltet wurde. Nach Hadlers Aussage hat Winterkorn darauf gedrungen, eine solche Technik einzusetzen, obwohl er habe durchblicken lassen, dass auch er von der Regelwidrigkeit gewusst habe. Hadler will selbst davor gewarnt haben, half dann aber nach allem, was bekannt ist mit, Winterkorns Vorgaben umzusetzen. Die Justiz scheint den Ausführungen zu glauben. Die Anklage gegen Winterkorn stützt sich zu einem Teil auch auf diese Aussage.

Außer einem Urteil gegen Winterkorn steht auch noch eine Entscheidung über Rupert Stadler aus. Der frühere Audi-Chef und Winterkorn-Vertraute saß 2018 im Zusammenhang mit dem Betrugsfall vier Monate lang in Untersuchungshaft. 2023 wurde Stadler im Rahmen eines „Deals“ mit der Justiz lediglich zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der Manager hatte im Gegenzug ein Geständnis abgelegt. Gegen sein Urteil ging er dann aber trotz der zuvor eingegangenen Verständigung in Revision. Daher wird der Bundesgerichtshof hier Recht sprechen. 

Die Urteile gegen Winterkorn – falls es dessen Gesundheit erlaubt – und gegen Stadler werden am Ende zeigen, ob die juristische Aufarbeitung des Milliardenvergehens gelingt. Auf diesem Weg kann das Urteil von Braunschweig nur ein Schritt sein. Denn es ist notwendig, dass die Verantwortung des Managements für die illegalen Aktivitäten deutlicher als bisher gesühnt wird. Es darf im Rechtsstaat nie um Rache gehen, auch nicht um die Genugtuung, die manche empfinden mögen, wenn mal „die Großen“ hängen müssen. Aber es muss um Gerechtigkeit gehen. Die ist noch nicht hergestellt, wenn nur die Mittäter aus dem Maschinenraum harte Strafen bekommen, nicht aber die aus der Befehlszentrale.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert