Die Spitzenköchin Clara Hunger siegt bei „Kitchen Impossible“ und weist Mälzer in seine Schranken – doch alle reden nur über ihr Tanktop. Ein Kommentar über Sexismus im Jahr 2025.
Clara Hunger hat gekocht. Professionell, konzentriert, erfolgreich. Doch worüber wird diskutiert? Über ihre Kochkunst? Ihre Technik? Ihre Professionalität? Ihren Sieg? Nein. Über ihr Tanktop.
Aber von vorn: Vergangenen Sonntag bei „Kitchen Impossible“ trat Clara Hunger für ihren Chef Max Strohe gegen Tim Mälzers Küchenchef Sebastian Brugger an. Hungers Herausforderung führte sie in die französische Sterneküche von Köchin Mélanie Serre. Dort kochte sie eine komplexe Pâté en croûte mit Ratatouille nach und erhielt dabei 6,1 Punkte von der Jury – ein respektables Ergebnis bei „Kitchen Impossible“.
Am Ende gewann sie sogar das Stellvertreter-Duell gegen Sebastian Brugger mit 12,7 zu 12,2 Punkten. Eine starke Leistung, die eigentlich für sich sprechen sollte.
Und doch ist die Diskussion eine andere.
„Köchin eckt mit freizügigem Outfit an“, titeln einige Medien reißerisch und bedienen damit ein Narrativ, das wir längst überwunden glaubten.
Ein Blick auf das vermeintlich „freizügige“ Outfit offenbart: Clara Hunger trug eine schwarze Latzhose mit weißem Tanktop darunter – ein Outfit, bei dem „freizügig“ völlig unangebracht ist und das man höchstens als praktisch und funktional bezeichnen könnte.
Das Problem mit den Schlagzeilen
Die Wortwahl ist nicht nur irreführend, sie ist problematisch. Sie sexualisiert eine Arbeitskleidung, die schlicht und praktisch ist, und lenkt die Aufmerksamkeit weg von dem, was wirklich zählt: der kulinarischen Leistung einer Spitzenköchin.
Diese Sexualisierung setzte sich prompt in den sozialen Medien fort. Kaum war Clara Hunger im Fernsehen zu sehen, überschlugen sich Kommentare von Nutzern mit Bemerkungen wie „Endlich mal eine Schönheit in der Küche, da bringt das Zuschauen noch mehr Spaß als sonst“.
Es ist 2025. Wir reden immer noch über ein Tanktop statt über Kochkunst. Ein Tanktop! Als wäre das eine Sensation. Wir sexualisieren Arbeitskleidung. Wir reduzieren eine Spitzenköchin auf ihr Aussehen. Das ist nicht nur respektlos – das ist beschämend für uns als Gesellschaft.
Es ist die Clara Hunger, über die wir sprechen sollten
Dabei ist Clara Hunger eine Köchin, die konsequent für Gleichberechtigung kämpft. Als sie in der Küche schwere Töpfe mit Sauce nicht heben konnte und männliche Kollegen ihr – nett und keineswegs sexistisch – halfen, ging sie einen Schritt weiter: Sie besorgte sich zuhause Hanteln und trainierte ihre Muskeln. Sie wollte gleich behandelt werden. Sie wollte dieselben körperlichen Anforderungen erfüllen können wie ihre männlichen Kollegen.
Es ist die Clara Hunger, über die wir sprechen sollten. Nicht über ihr Tanktop.
Doch die Spitzenköchin selbst war auf die Reaktionen vorbereitet: „Mir war das schon fast klar, dass Kommentare zu meinem Outfit kommen würden, allein schon deshalb, weil ich eine Frau bin“, sagt sie auf Nachfrage. „Aber ich hatte keine Lust, mich einzuschränken.“
Für sie ist das eine Frage der Gleichberechtigung: „Hätte das ein Mann gemacht, wäre nichts gekommen. Nur weil ich eine Frau zwischen drei Männern bin, wird das ausgeschlachtet. Was ich wahnsinnig traurig finde.“ Ihr Fazit ist eindeutig: „Am Ende habe ich nur meinen Bizeps gezeigt, was Männer immer öffentlich zeigen, und da sagt nie jemand was.“
Kleiderordnung in Frankreich: Striktere Standards
Die Recherche zeigt: In der französischen Gastronomie gelten tatsächlich strengere Kleidervorschriften als in Deutschland. Während deutsche Küchen zunehmend auf funktionale und praktische Arbeitskleidung setzen – von klassischen weißen Kochjacken bis hin zu modernen, farbigen Varianten – beharrt die französische Gastronomie stärker auf traditionellen Standards.
Das französische Arbeitsrecht erlaubt Arbeitgebern grundsätzlich, Kleidervorschriften zu erlassen, wenn diese durch „berufliche Notwendigkeiten“ gerechtfertigt sind, die sich auf Gesundheit, Sicherheit oder Hygiene beziehen. In französischen Küchen ist die klassische weiße Kochjacke mit dazugehöriger Hose daher oft tatsächlich Vorschrift – nicht nur Tradition.
Mélanie Serre erklärte in der Sendung: „Clara trug nicht das typische Outfit einer Köchin, zu dem wir in Frankreich verpflichtet sind: eine Kochjacke und eine Kochhose.“ Clara Hunger reagierte ehrlich: „Ich wusste nicht, dass das in Frankreich verboten ist, ohne Kochjacke zu kochen.“
Tim Mälzer ordnete die Situation pragmatisch ein: „Kitchen Impossible“ gehe sowieso als „Sondersituation“ durch, eine Fernsehproduktion mit eigenen Regeln und Gegebenheiten.
2025: Immer noch dieselben Muster
Was aber erschreckt, ist die Tatsache, dass wir im Jahr 2025 immer noch dieselben misogynen Muster erleben, die Frauen in der Öffentlichkeit seit Jahrzehnten begleiten. Während männliche Köche für ihre Kreativität, ihre Technik oder ihre Führungsqualitäten diskutiert werden, wird bei Frauen der Fokus reflexartig auf ihr Äußeres gelenkt.
Clara Hunger ist eine ausgezeichnete Köchin, die als stellvertretende Küchenchefin im renommierten „tulus lotrek“ gearbeitet hat und sich nun mit ihrer eigenen Pop-up-Weinbar „Nullkommaeins Bar“ in Hamburg selbstständig gemacht hat. Sie hat ihre Ausbildung in Tim Mälzers „Bullerei“ gemacht und sich in der anspruchsvollen Welt der Spitzengastronomie behauptet. Ihre fachliche Kompetenz steht außer Frage – doch das interessiert niemanden, wenn man über ein Tanktop sprechen kann.
Was uns das über unsere Gesellschaft verrät
Das ist nicht nur unfair gegenüber Clara Hunger – es ist symptomatisch für eine Gesellschaft, die Frauen noch immer nicht als gleichberechtigte Profis wahrnimmt.
In der Gastronomie, einer Branche, die traditionell männlich dominiert ist, kämpfen Köchinnen täglich um Anerkennung ihrer fachlichen Kompetenz. Wenn dann ausgerechnet das Outfit zur Schlagzeile wird, untergraben wir jeden Fortschritt, den wir in Sachen Gleichberechtigung gemacht haben.
Es ist Zeit, dass wir aufhören, über die Kleidung von Köchinnen zu diskutieren, und anfangen, über ihre Kochkunst zu sprechen. Clara Hunger hat in einer französischen Sterneküche eine komplexe Aufgabe gemeistert – das sollte die Schlagzeile sein. Nicht ihr Tanktop.
Wenn wir wirklich Gleichberechtigung in der Gastronomie erreichen wollen, müssen wir Frauen dieselbe fachliche Aufmerksamkeit schenken wie Männern. Das bedeutet: weniger Fokus auf Outfits, mehr Fokus auf Können. Weniger Oberflächlichkeit, mehr Substanz.
Clara Hunger hat gekocht. Gut gekocht. Das sollte reichen – für 2025 und für alle kommenden Jahre.