Vor der Heim-EM in Leipzig: Klartext von Turn-Ass Kevric: „Bin kein Missbrauchsopfer“

Jung-Star Helen Kevric sagte bislang nichts zum Missbrauchsskandal in Stuttgart. Dabei ist die aufstrebende Turnerin direkt betroffen. Vor der Heim-EM bricht sie ihr Schweigen.

Mit offenem Blick und ohne Umschweife bricht Helen Kevric ihr Schweigen. Unmittelbar vor den Heim-Europameisterschaften in Leipzig äußert sich der aufstrebende Star erstmals zum Turn-Skandal in Stuttgart, der ihre noch junge Karriere mächtig durcheinander gewirbelt hat. 

Sie sei sehr traurig, dass sie nicht mehr mit ihren alten Trainern zusammenarbeiten dürfe, sagt sie im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. „Ich bin weder ein Missbrauchsopfer noch sonst irgendwas“, sagt die 17-Jährige nach dem Podiumstraining. Sie sei sehr traurig, dass es jetzt so gekommen sei.

Seit Ende vergangenen Jahres belasten Vorwürfe über Missbrauch zunächst am Kunst-Turn-Forum Stuttgart und später auch am Stützpunkt Mannheim das deutsche Frauen-Turnen. Mehrere ehemalige und aktive Sportlerinnen hatten unter anderem „systematischen körperlichen und mentalen Missbrauch“ sowie katastrophale Umstände angeprangert. Zwei Übungsleiter wurden freigestellt. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg und die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermitteln. Es geht um den Verdacht der Nötigung in mehreren Fällen.

Der Schwäbische Turnerbund (STB) und der Deutsche Turner-Bund (DTB) sind weiter mit der Aufarbeitung beschäftigt – dazu wurde Mitte Januar eine Kanzlei aus Frankfurt am Main herangezogen. Beim Landessportverband (LSV) befasst sich ein unabhängiges Expertengremium mit den Vorwürfen. Im Juli sollen erste Ergebnisse vorliegen.

Neue Trainerinnen für Kevric

Helen Kevric ist dabei unfreiwillig in den Mittelpunkt geraten. Es sind ihre ehemaligen Trainer in Stuttgart, gegen die sich die Vorwürfe richten. „Ich hatte immer eine gute Beziehung zu meinen Trainern“, sagt sie in Leipzig und bricht damit eine Lanze für die Betreuer, die sie im vorigen Jahr bei den Olympischen Spielen in Paris zu Platz acht im Mehrkampf und Rang sechs am Stufenbarren geführt haben.

Anfang März präsentierte der DTB Aimee Boorman aus den USA als prominente Übergangslösung. Die ehemalige Trainerin von Super-Star Simone Biles wurde für fünf Monate als Honorar-Trainerin unter anderem für Kevric verpflichtet. Weil die 52-Jährige jedoch wegen anderer Verpflichtungen aktuell in ihrer Heimat ist, steht der deutschen Mehrkampf-Meisterin seit zwei Wochen und auch bei den Europameisterschaften Boormans Landsfrau LaPrise Harris-Williams zur Seite.

„Es läuft so weit sehr gut“, sagt Kevric zur Zusammenarbeit mit ihrer aktuellen Ersatztrainerin. Mit Boorman sei es ebenso gewesen. Dennoch ist ihr die Umstellung nicht leicht gefallen. Größte Herausforderung für sie auf dem Weg zu EM sei es gewesen, „eine neue Bindung aufzubauen zu der Trainerin“. Die Trainingsmethoden seien etwas anders, aber sie habe trotzdem versucht, so zu trainieren wie zuvor. „Generell einfach diese ganze Situation war schon sehr belastend und es war nicht so ganz einfach, weil es nicht so gekommen ist, wie ich es wollte. Ich hätte gern meine Trainer behalten“, gibt die 17-Jährige unumwunden zu.

Bundestrainer als Krisenmanager

Durch die außergewöhnlichen Umstände ist Gerben Wiersma seit fünf Monaten nicht nur als Frauen-Bundestrainer, sondern auch Krisenmanager gefordert gewesen. „Einen neuen Trainer zu finden, damit waren wir in den vergangenen Monaten wirklich sehr beschäftigt“, sagt der Niederländer. Er schwankte zwischen Hoffen und Bangen, ob Kevric in Leipzig antreten kann.

Als sich seine Vorturnerin dann bei der zweiten EM-Ausscheidung am 13. Mai in Berlin mit einem fulminanten Mehrkampf zurückmeldete, war er erleichtert. Für Kevric selbst war der starke Vortrag keine Überraschung, „weil ich ja trotzdem mein Training fortgesetzt habe. Es war natürlich anders für mich, weil es mein erster Wettkampf ohne meine alten Trainer war. Das war nicht ganz einfach für mich, ist es immer noch nicht“.

Sie habe einen Vierkampf „auf einem wirklich hohen Niveau gezeigt“, urteilt der Bundestrainer. Und trotz ihres Realschulabschlusses habe sie in den vergangenen zwei Wochen hart trainiert. „Sie hat sich reingekniet und was ich gesehen habe, war toll. Ich freue mich darauf, wenn sie am Montag die bestmögliche Performance zeigt“, sagt Wiersma.

Knieprobleme beim Podiumstraining

Beim Podiumstraining in der Halle 1 der Messe Leipzig turnte Helen Kevric am Samstag an ihrem Spezialgerät Stufenbarren dynamisch und elegant. Am Boden aber wurde sie von einer Knieblessur ausgebremst, auf die Übungseinheit beim Sprung verzichtete sie ganz. Laut Wiersma war es aber nur eine Vorsichtsmaßnahme, um einen Start bei der Qualifikation an diesem Montagabend nicht zu gefährden. 

Auch die Turnerin selbst gibt Entwarnung. „Ich habe ein gutes Gefühl für die Geräte bekommen und mir gefällt die Halle sehr gut. Deswegen freue ich mich auf Montag“, sagt Kevric. Und weiter: „Meine Form ist gut. Ich bin auf dem gleichen Niveau, wie ich war und ich bin bereit.“ Sie sei voll fokussiert auf den Auftakt bei der Heim-EM – auch wegen der ihr fehlenden bisherigen Trainer. „Ich mache es auch ein Stück weit für sie.“

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