Manufaktur-Besuch: Die kleine Schwarze: So mischt Chanel die Welt der Luxusuhren auf

Chanel setzt auch bei Uhren Maßstäbe in Sachen Luxus. Beim Besuch der firmeneigenen Manufaktur trifft man auf Handwerker mit feinen Fingern – und einem Hang zum Gnadenlosen.

Das kostbare Stück ruht auf einem gläsernen Sockel. Es ist kaum größer als ein Zwei-Euro-Stück, und doch werden 172 Teile in ihm verbaut: Schrauben, Zahnräder, sogar Rubine. Alles muss auf engstem Raum ineinandergreifen. Der Mann, dem das Große im Kleinen gelingt, hebt mit einer Pinzette ein Schräubchen an und setzt es vorsichtig in das mattschwarze Gehäuse. Um keine Abdrücke zu hinterlassen, trägt er rosafarbene Fingerlinge, dazu einen weißen Kittel mit Löwenkopf-Emblem. Es ist das Erkennungszeichen der Uhrmacher, die in der Manufaktur von Chanel hochkomplexe Werke bauen.

Moment, Chanel und Uhren? Tatsächlich mischt die Pariser Modemarke auch in der Haute Horlogerie mit, der hohen Zeitmesserkunst, und hat sich dort einen Spitzenplatz zwischen Branchengrößen wie Bulgari, Piaget und Patek Philippe gesichert. Firmengründerin Gabrielle „Coco“ Chanel präsentierte schon 1932 eine eigene Schmuckkollektion, doch folgten die Uhren erst 1987. Anders als viele Modemarken, die damals ihren guten Namen für jede Art von Lizenz verramschten, setzt Chanel seitdem auf hochwertige Uhren. 

Chanel macht Blau

In der hauseigenen Manufaktur im schweizerischen La Chaux-de-Fonds sind die Kunsthandwerker in der Lage, Komplikationen wie einen Chronografen oder einen Flying Tourbillon zu bauen. Seit 2016 fertigten sie allein fünf neue Uhrwerke an. Das ist in etwa so, als stellte Porsche alle zwei Jahre einen neuen Autotyp vor. Hochkarätig: Zum 25. Jubiläum der „J12“ sind neun Varianten in mattem Blau entstanden, darunter auch die „J12 Bleu Diamant Tourbillon“
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Dass Besucher den Uhrmachern auf die Finger schauen dürfen, kommt nur selten vor. Doch in diesem Jahr steht bei Chanel ein Jubiläum an: Das Modell „J12“ wird 25. Eine Uhr, die einst neuen Schwung in die langsam tickende Uhrenwelt brachte. Zum einen, weil sie aus einem Material gefertigt war, das neben Chanel nur Rado verwendete: Keramik. Siebenmal härter als Edelstahl, nahezu bruchsicher und mit dauerhaftem Glanz – schnell wurde es auch von anderen Marken aufgegriffen und gilt heute als Branchenstandard. 

Zudem war die „J12“, die es anfangs in Schwarz und später auch in Weiß gab, eine der ersten Unisex-Uhren. Obwohl sie von einem Label für Damenmode gefertigt war, interessierten sich auch Männer für das kühle, technisch anspruchsvolle Design. Der damalige Kreativchef Jacques Helleu hatte sich von schnittigen IACC-Yachten des America’s Cup inspirieren lassen. Das Rennboot „J12“ wurde zum Namenspaten.

Auch Frauen nahmen das Modell dankend an, denn sie wurden von Herstellern mechanischer Uhren lange als Zielgruppe ignoriert. Man ging davon aus, dass sie auch mit Quarzwerken am Handgelenk zufrieden seien, aufgehübscht mit farbigen Zifferblättern und funkelnden Diamanten. Heute sind Unisex-Uhren zwar gängig, doch noch immer nicht die Regel.

Für die Jubiläumsedition der „J12“ setzt Chanel deshalb erneut auf eine unverfängliche Farbe: ein dunkles, mattes Blau. Fünf Jahre arbeiteten die Ateliers in La Chaux-de-Fonds an der Umsetzung. Dann endlich stimmten der Ton der Keramik und die Skizzen des Pariser Designbüros unter Führung von Arnaud Chastaingt mit den fertigen Werken überein. Folterkammer: In der Qualitätskontrolle durchläuft jeder neue Uhrtyp etwa 3000 Tests
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Zwar werden alle Modelle der „Bleu“-Serie von Hand gefertigt, doch erhalten die Haute-Horlogerie-Stücke eine Extrabehandlung. Sie werden ausschließlich von einem Uhrmacher gebaut. So gehört das kleine Schwarze, das der Mann im weißen Löwenkittel zusammensetzt, zum Kaliber 5 eines Flying Tourbillon. Es wurde speziell für dieses Modell angefertigt, das das Kronjuwel der Linie darstellt. Sein Gehäuse schmücken 34 Saphire, und im Innern scheint ein großer Diamant zu schweben. Befestigt ist er jedoch auf einem offenen Tourbillon-Käfig, der für eine höhere Ganggenauigkeit sorgen soll. Eine Komplikation, die schon mal ein paar Hunderttausend Euro kosten kann.

Welches neue Modell auch immer das Manufakturwerk verlässt: Jeder Prototyp muss zuvor die hauseigene Folterkammer durchlaufen. Sie wird von zwei freundlich dreinblickenden Herren geleitet, die sich als gnadenlos entpuppen. Sie strecken Bänder, hämmern auf Keramik und lassen Uhren aus großer Höhe zu Boden fallen. 3000 Tests muss jedes Modell überleben. Qualität kommt eben von Qual.

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