Alle zwei Minuten erlebt in Deutschland eine Frau oder ein Mädchen physische Gewalt, so ein Bericht. Das Land will die Gewaltspirale frühzeitig durchbrechen – und nimmt Wiederholungstäter ins Visier.
Die nordrhein-westfälische Landesregierung will den Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt verbessern und potenzielle Gewalttäter frühzeitig aus dem Verkehr ziehen. Das Land will dazu am Freitag einen Gesetzesantrag in den Bundesrat einbringen, wie NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) ankündigte. Mit dem Gesetz soll es Gerichten ermöglicht werden, rechtzeitig Untersuchungshaft für Wiederholungstäter anzuordnen. Zu häufig sei der gefährlichste Ort für Frauen das eigene Zuhause – „zu häufig endet die Gewaltspirale für sie tödlich“, sagte Limbach.
In den allermeisten Fällen kennt das Opfer den Täter
Der erste unabhängige Bericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte zu geschlechtsspezifischer Gewalt in Deutschland weise erschreckende Zahlen auf, sagte der Grünen-Minister. Im Schnitt erlebe in Deutschland alle zwei Minuten eine Frau oder ein Mädchen körperliche Gewalt. Jeden Tag würden zwei bis drei Frauen und Mädchen Opfer eines vollendeten oder versuchten Tötungsdelikts. Und in den allermeisten Fällen kenne das Opfer den Täter. Das seien aber nur Zahlen aus dem sogenannten Hellfeld. Denn nur ein Teil der erlebten Gewalt werde auch tatsächlich zur Anzeige gebracht.
Zwar hatten Bund und Länder noch am Ende der vergangenen Legislaturperiode das Gewalthilfegesetz auf den Weg gebracht, das einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung begründet. Einige Länder, darunter NRW, ermöglichten außerdem die Überwachung von Gefährdern mit einer Fußfessel. Es müsse aber noch mehr getan werden, so Limbach.
Deeskalationshaft für notorische Schläger
Bislang kann die Polizei in einer akuten Gefahrenlage zwar eine Wohnungsverweisung aussprechen, an die sich ein gerichtliches Kontakt- oder Näherungsverbot anschließen kann. Diese Praxis stoße aber bei „notorischen Schlägern“ an ihre Grenzen, sagte Limbach. „Denn der harte Kern der Gewalttäter schert sich um gerichtliche Anordnungen einfach nicht.“
Künftig müssten potenzielle Täter in Hochrisikofällen daher vorbeugend in eine „Deeskalationshaft“ genommen werden können. Ein ähnliches Instrument gebe es bisher nur für Fälle von Stalking – nämlich die Untersuchungshaft zur Abwendung einer Wiederholungsgefahr. Außerdem soll nach Willen der NRW-Landesregierung der Strafrahmen bei Verstößen gegen Schutzanordnungen angehoben werden.
Rechtzeitiges Eingreifen könnte Leben retten
„In vielen Fällen könnten Frauen noch leben, wenn man die Täter in der Krisenphase der Beziehung frühzeitig präventiv inhaftiert hätte“, sagte die Medizinerin und Sachverständige für Forensische Psychiatrie, Nahlah Saimeh. In der Haft könne unter kriminaltherapeutischer Begleitung eine „psychische Deeskalationsphase“ eingeleitet werden. Da gehe es aber nicht etwa um ein „Wellnessprogramm mit Rückenmassage“, sondern allein um den Opferschutz, sagte Saimeh. „Wir sind hier nicht im Wohlfühlbereich.“
Die Deeskalationshaft werde wie auch eine U-Haft vom Richter angeordnet, der zunächst keinen Zeitraum festlege, sagte Limbach. Es könne auch niemand in der Haft gezwungen werden, eine Therapie zu machen. Bei einer Entscheidung über die Fortdauer der Haft müsse der Richter die Prognose des Inhaftierten berücksichtigen. Aus der Forschung wisse man, dass eine Intervention von etwa drei Monaten helfen könne, aus einer Gewaltspirale herauszukommen.