Die Linke feiert in auf dem Bundesparteitag in Chemnitz ihre Wiederauferstehung und ihre neue Macht im Bundestag. Doch ihr Antisemitismus-Problem verfolgt sie hartnäckig.
In der Mitte der riesigen, roten Bühne steht die Frau, der bei Instagram knapp 650.000 Menschen folgen und die bei TikTok schon 17 Millionen Herzchen eingesammelt. Heidi Reichinnek ruft, nein schreit: „Die Linke ist zurück!“ Und: „Es ist so ein verdammt gutes Gefühl, endlich mal wieder etwas gewonnen zu haben!“
Auch wenn dies hier, in der Chemnitzer Messe, die auf einem Parteitag übliche Propaganda ist: Reichinnek übertreibt nicht. Die 37-Jährige war Spitzenkandidatin eines Bundestagswahlkampfs, an dessen Ende die Linke nicht wie befürchtet aus dem Parlament flog, sondern erstaunliche 8,8 Prozent erreichte. Die Linke, sie ist tatsächlich zurück.
Reichinnek steht nicht nur an der Spitze einer deutlich gewachsenen Fraktion. Sie ist der neue Star einer Partei, die noch vor Jahresfrist für politisch tot erklärt wurde – und die jetzt vor Selbstbewusstsein strotzt.
Die Linke hat sich verdoppelt
„Wir werden Schritt für Schritt dieses Land verändern!“, ruft Reichinnek. Die „Macker“ und die „Superreichen“ bekämen jetzt zu Recht Angst. Denn: „Wir wollen ein Wirtschaftssystem abschaffen, in dem die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.“ Ein solches System habe „mit Demokratie nichts, aber auch gar nichts zu tun.“ Und ja: Wenn das radikal sein sollte – „dann sind wir radikal“!
Doch Reichinnek kann nicht nur angreifen, sie besitzt auch Showqualitäten. Am Ende ihrer Rede breitet sie lächelnd ihre Arme aus, so, als wolle sie den ganzen Saal umarmen. Und sie tanzt im bunt geblümten Kleid über die Bühne, während die knapp 450 Delegierten ihr stehend zujubeln.
Mag auch als offizielles Motto des Parteitags „Die Hoffnung organisieren“ auf den Transparenten stehen, eigentlich lautet es: „Hurra, wir leben noch!“. Nach ihrem Beinahe-Exitus will sich die Partei, die einst aus der SED-Nachfolgeorganisation PDS und dem SPD-Ableger WASG entstand, endgültig im politischen System etablieren.
Groß genug dafür ist die Linke immerhin. „Wir haben allein in diesem Jahr unsere Mitgliederzahlen verdoppelt“, sagt Parteichefin Ines Schwerdtner stolz. 55.000 Menschen traten in diesem Jahr ein und erhöhten die Gesamtzahl auf knapp 113.000.
Dabei kamen vor allem junge, darunter viele Frauen. Das Durchschnittsalter der Neuen lag bei 30 Jahren. Und: Inzwischen stammen mehr als 60 Prozent der Mitglieder aus der alten Bundesrepublik. Die Partei, sagt Schwerdtner, sei jetzt „jünger, westlicher und weiblicher“.
Glücklich in Chemnitz: Die Linke-Parteichefs Ines Schwerdtner und Jan van Aken posieren vor der Parteitagsbühne in der Messehalle
© Hendrik Schmidt
Tatsächlich hat die Linke zuletzt vieles richtig gemacht. Sie tritt geschlossener auf, auch das alte Schisma zwischen Fraktion und Partei scheint überwunden. Inhaltlich konzentriert sie sich auf ihr Kerngeschäft, also ideologische Kapitalismuskritik und praktisch klingende Forderungen wie der „Mietendeckel“. Ansonsten versucht sie, ihr altes PDS-Image als Kümmererpartei zu reaktivieren, mit Hausbesuchen, Sozialsprechstunden oder einem Heizkostenrechner.
Hinzu kommt die strategische Macht im Berliner Parlament. Die 64 Linke-Abgeordneten besetzen gemeinsam mit den 125 AfD-Abgeordneten mehr als ein Drittel der Sitze. Sie könnten damit Beschlüsse, die eine Zweitdrittel-Mehrheit benötige, gemeinsam blockieren – was die Union bereits zu einigen Verrenkungen nötigte. Siehe Milliardenschulden-Beschluss, siehe Kanzlerwahl. Nach dem verunglückten ersten Wahlgang musste Friedrich Merz auf Reichinnek und Schwerdtner zugehen: Nur mithilfe der Linken kam es ohne AfD-Stimmen zur Fristverkürzung für einen schnellen zweiten Wahlgang.
Kurzum: Es könnte alles schön sein auf dem Linke-Fest in Chemnitz, wäre da nicht da der alte Streit um die Haltung zu Israel. Der Konflikt hat bereits den Berliner Landesverband zersprengt und sorgt immer wieder für Auseinandersetzungen mit dem Jugendverband solid.
Erst am Dienstag hatte die Gewerkschafterin Ulrike Eifler, die im Bundesvorstand sitzt, auf X eine Karte von Israel, Gaza und dem Westjordanland gepostet, die sie mit dem Kommentar #FreePalestine versah. Das Besondere an der Grafik war allerdings, dass darauf die Grenzen von Israel nicht zu erkennen waren. „Es ist ein Aufruf zur Auslöschung“, urteilte die „Jüdische Allgemeine“.
Der Bundesspitze reagierte am Donnerstag. „Der Parteivorstand distanziert sich von jedem Aufruf, jedem Statement und jedweder bildlichen Darstellung, die unter dem Deckmantel der Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung die Existenz Israels negiert oder die Auslöschung Israels propagiert“, hieß es in dem Beschluss. Man fordere alle Parteimitglieder auf, „derartige Darstellungen nicht zu veröffentlichen und bereits veröffentlichte umgehend zurückzuziehen“.
Doch am Freitag stand der Post von Eifler noch online – und fand Unterstützer auch in Chemnitz. Eine junge Delegierte aus Bayern etwa trat mit Kufiya ans Rednerpult und klagte, dass es die Linke nicht schaffe, „einen Genozid“ klar zu verurteilen. Der Beschluss des Bundesvorstands sei eine Solidaritätserklärung für einen „imperialistischen, genozidalen Apartheid-Staat“ und überhaupt „eine Schande“.
Wie weiter in Bundestag und Bundesrat?
Die Rede bekam nur gedämpften Beifall, zeigte aber, dass der Konflikt keinesfalls ausgestanden ist. Schwerdtners Co-Chef Jan van Aken gestand ein, dass die inhaltlichen Debatten gerade erst begonnen hätten. In zwei Jahren solle das neue Parteiprogramm beschlossen sein.
Bis dahin muss die Partei auch neu justieren, wie sie sich im Bundestag verhält. Die Entscheidung, die schnelle Wahl von Merz zu ermöglichen, stieß vor allem bei jungen Abgeordneten auf Widerstand und wurde in Chemnitz mehrfach kritisiert. Wie also wird sich die Linke bei der Wahl von Verfassungsrichtern und der Reform der Schuldenbremse verhalten, wenn die Union wieder auf sie zugehen sollte?
Ähnlich unentschieden ist die Lage im Bundesrat. Dass dort die beiden Landesregierungen, an denen die Linke beteiligt ist, der Öffnung der Schuldenbremse für Militärausgaben zustimmten, sorgte für schwere Verstimmungen an der Basis, aber auch im Vorstand. Das sollte so nicht wieder vorkommen, sagte Schwerdtner in Chemnitz.
„Das progressive Erbe der Sowjetunion“
Die Partei schwankt also weiter zwischen Pragmatismus, Populismus und Radikalismus. In Chemnitz wurde immer wieder der Klassenkampf gegen Imperialismus, Militarismus und Kapitalismus, aber natürlich auch gegen die „Faschos“ von der AfD und den „rechten Kanzler“ Merz beschworen. Nebenbei wurde das „progressive Erbe der Sowjetunion“ gelobt.
Am Ende aber überwog auf dem Parteitag, der noch bis Samstag andauert, die innerparteiliche Harmonie. Der Fokus richtet sich schon auf die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen im September sowie die Landtagswahlen im nächsten Jahr in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern.
Die Bundestagswahl soll erst der Anfang gewesen sein. „Links ist nicht vorbei“, rief Heidi Reichinnek. „Links ist die Zukunft!“