„Walk-in“-Trend: Wie die Gastronomie Gäste-Ghosting kontert

Reservierungen bringen Tücken mit sich. Manche Lokale setzen deshalb lieber, ganz oder teilweise, auf Laufkundschaft. „No Booking“, „No Reservations“, „Walk-in“: Geht das gut?

Es war einmal die Spontanität: Früher ging man in Deutschland einfach so ins Wirtshaus oder in die Gaststätte, bekam ohne Reservierung einen Platz, bestellte sein Gericht, hat recht zügig gegessen und am Ende (bar) gezahlt. 

Und heutzutage? Da ist der Restaurantbesuch, der ohnehin mal weit günstiger erschien, insbesondere in teuren Lagen viel mehr Aufwand – oft muss man in Großstädten lange vorher planen und reservieren, um einen Tisch zu kriegen. Das hat manchmal was von Termin beim Facharzt bekommen.

Viele Foodies haben wenig Lust auf diesen Reservierungswahn und das immer öfter übliche Double-Seating (90-Minuten-Zeitfenster in begehrten Lokalen, damit ein Tisch zum Beispiel nicht den ganzen Abend nur einmal besetzt ist). 

Die Gegenbewegung: sogenannte Walk-ins. Sprich: Auf Laufkundschaft zu setzen, scheint wieder „in“ zu sein.

Das liegt wohl auch daran, weil einige Menschen die Reservierkultur mit No-shows (Nicht-Erscheinen) oder „Reservation Ghosting“ (Plötzlich unerreichbar bei zuvor bekundetem Interesse) missbrauchen. Doch dazu später mehr. 

„Uns war wichtig, einen Ort zu schaffen, der ohne Verpflichtungen auskommt“, sagt der Gastronom Sören Zuppke. Er ist in Berlin einer der Betreiber angesagter Locations wie „Trio“ und „Otto“ und neuerdings vom „Pluto“, das in Prenzlauer Berg eine Weinbar für Nachbarn, Freunde, Familie sein wolle, „ganz ohne Menüzwang oder lange Vorausplanung“.

„Reservierungen würden dem Ganzen nur die Leichtigkeit nehmen“

Dass sie im „Pluto“ keine Buchungsmöglichkeit anbieten und keine Zeitslots vergeben, erklärt Zuppke so: „Wir fühlen uns selbst sehr hingezogen zu offenen Orten, wo man einfach reinschneit – sei’s für ein schnelles Glas und einen Teller Schinken oder für einen langen Abend mit mehreren Flaschen Wein. Jeder ist willkommen, ganz ohne Plan. Reservierungen würden dem Ganzen nur die Leichtigkeit nehmen.“

Ähnlich funktioniert in Berlin-Mitte in einem früheren Supermarkt auch das „Pinci“, das sich Tagesbar nennt und etwa social-media-taugliches Trüffel-Toast serviert. Botschaft bei Instagram: „No Reservations“. 

Hier bildet sich auch schon mal eine längere Warteschlange, als gäbe es hier gerade das angesagteste Gericht des Internets, etwa viral gegangene Bagels, Pizzas, Tacos, Eisbomben oder irgendwelche gehypten Nudeln.

Die stylishen Lokale der Big-Squadra-Gruppe in München, Berlin und Hamburg („Giorgia“, „Coccodrillo“, „Edmondo“) betonen, zwar mit Reservierungen zu arbeiten („Kalender öffnet 30 Tage im Voraus“), jedoch auch begrenzt verfügbar „Walk-in-Tische“ bereitzuhalten.

An alledem zeigt sich, dass Gastronomie gerade in den Metropolen heute ziemlich anders funktioniert, als sie es in der Zeit vor dem Smartphone tat. 

Bei aller Modernität können durchaus altmodische Lokale zum Tiktok-Trend werden. Gutes Beispiel sind etwa die Wiener Kaffeehäuser, in die Leute früher entspannt hineinspazierten, wenn sie – frei nach dem österreichischen Schriftsteller Alfred Polgar – zum Alleinsein Gesellschaft brauchten.

„Es werden laufend Tische frei“

Heute bilden sich, anders als vor 20 Jahren, oft Schlangen vor traditionsreichen Häusern wie „Demel“ oder „Prückel“. Das „Café Central“ in der Herrengasse wirbt immerhin damit, „dass nicht alle Tische ausreserviert werden“. Man solle gern einfach vorbeikommen. „Es werden laufend Tische frei.“

Die Nostalgie-Lust in Netzzeiten zeigt auch das Beispiel der verwandten Pariser Steak-Restaurants „Relais de Venise“ (mit Dependancen in New York, Mexiko-Stadt, Monaco und London) und „Relais de l’Entrecôte“ (Restaurants auch in Genf und Zürich). Deren Konzept: „No Booking“, außerdem Kellnerinnen in schwarzem Kleid mit weißer Schürze und nur ein einziges Menü (Hauptgang: Roastbeef mit würziger Buttersauce und dünnen Pommes).

Der Dehoga (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband) ordnet den „No Booking“-Trend, die „Walk-in“-Mode, die Restaurants in Los Angeles, New York oder London gefühlt schon seit vielen Jahren zelebrieren, im deutschen Sprachraum dennoch eher als ein Randphänomen ein.

No-shows und sehr kurzfristige Absagen nehmen zu

„Es gibt einige Restaurants, die inzwischen ganz bewusst auf Reservierungen verzichten, um sich vor den wirtschaftlichen Folgen von No-shows zu schützen“, sagt Anwalt und Rechtsexperte Jürgen Benad. Dieses Konzept funktioniere in bestimmten Betriebstypen, „etwa in stark frequentierten Lagen mit viel Laufkundschaft“. Das sei jedoch keine Lösung für alle.

Laut Rückmeldung der Dehoga-Mitglieder haben No-shows und sehr kurzfristige Absagen in den vergangenen Jahren zugenommen. 

Benad sagt: „Häufig fehlt Gästen das Bewusstsein dafür, wie viel organisatorischer Aufwand hinter der Tischplanung eines Restaurants steckt. Besonders ärgerlich ist dies für Betriebe mit wenigen Tischen oder einem hochwertigen Speisenangebot im Fine-Dining-Bereich.“ Es sei dann meist unmöglich, kurzfristig einen anderen Gast für den freigewordenen Tisch zu gewinnen – der wirtschaftliche Schaden sei entsprechend hoch.

Bei Stornogebühren drohen Rachebewertungen im Internet

Maßnahmen gegen dieses Verhalten mancher Reservierenden führen jedoch rasch zu neuen Problemen. Wenn Gastronomen den ohne Nachricht Fernbleibenden eine für diesen Fall bei der Reservierung angekündigte Rechnung schicken oder Stornobeträge von der vorher erfassten Kreditkarte abbuchen, handeln sie sich rasch Rachebewertungen auf Onlineportalen ein.

Außerdem könne es ja auch sein, dass Gäste etwa wegen gesundheitlicher Notfälle nicht erschienen, sagt Benad. „Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt – besonders gegenüber Stammgästen, die kein Gastronom verlieren möchte.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert