Eleganter Boxer und narzisstisches Großmaul: Muhammad Ali war ein Idol, ein Mythos, ein Jahrhundertmensch – aber auch ein Mann voller Widersprüche.
Amerikanische Sportfans sind vernarrt in Statistiken. Sie lieben die Gegenüberstellung, den Vergleich: Wer ist der Beste aller Zeiten? Und wer ist der Schnellste? Der Teuerste? Über alles und jeden wird Buch geführt, beim Basketball, beim Eishockey oder beim Baseball – nur beim Boxen können sie sich das sparen: Da ist seit Jahrzehnten klar, wem das Siegel GOAT gebürt, „Greatest of all Time“ – Muhammad Ali.
Er war der elegante Boxer und das narzisstische Großmaul. Er besiegte alle und verlor gegen sich selbst. Er wurde als Cassius Clay Weltmeister und als Muhammad Ali zur Legende. Millionen sahen seine Siege gegen Frazier und Foreman und litten mit ihm in seinem letzten Kampf gegen Parkinson. War Ali zu groß für diese Welt? Nein. Er war einfach der, für den er sich selbst immer hielt – der Größte aller Zeiten. So gesehen ist es fast lustig, wie seine Geschichte begann: Mit einem Kleinganoven, der ihm das Fahrrad klaute.
„Ich bin der König der Welt“, rief Muhammad Ali
Es war 1954 und Cassius Clay ein schmaler Junge aus Louisville, Kentucky. Der Boxtrainer Joe Martin arbeitete gerade am Sandsack, „als dieses Kid weinend die Treppe herunterkam“, erinnerte er sich. Cassius, zwölf Jahre alt, war bestohlen worden. Er würde den Dieb verprügeln, erzählte er Martin. Der sagte: „Dann lernst du besser boxen.“ Der Junge war „der härteste Arbeiter unter allen Kids, die ich je trainierte“, so Martin. Auffällig waren seine Reflexe, seine Beinarbeit, seine Koordination, die den Coach sprachlos machten.
Cassius Clay verließ mit 16 die Schule: Er tat sich schwer mit dem Lesen und Schreiben. „Ich habe immer nur behauptet, ich sei der Größte. Nie, ich sei der Schlaueste“, sagte er später, da war er bereits Olympiasieger. Nachdem er in Rom Gold gewonnen hatte, finanzierte eine Gruppe weißer Geschäftsleute aus Louisville seine Profilaufbahn.
stern-Fotograf Volker Hinz 1984 mit Ali in Las Vegas. Er sollte ihn damals für ein Porträt ablichten, doch daraus entstand ein ganzer Bildband: „Private Life of Muhammad Ali“
© Volker Hinz / stern / Edition Lammerhuber
Der Sport wurde damals von Weißen kontrolliert, die schwarze Boxer als Investment sahen. Doch Cassius Clay kam in eine Zeit, in der schwarze Bürgerrechtler ermordet und Afroamerikaner von der Wählerregistrierung abgehalten wurden. Mit 21 erlebte er Martin Luther Kings „I had a dream“-Rede. „Ich bin das Amerika, das ihr nicht wahrhaben wollt“, rief er und stieg gegen Weltmeister Sonny Liston in den Ring, der nach sechs Runden aufgab. „Ich bin der Größte, ich bin der König der Welt“, tönte Cassius Clay daraufhin – und verkündete alsbald, er habe sich der Nation of Islam angeschlossen und hieße nun Muhammad Ali.
Dieser Muhammad Ali wurde zur ersten globalen Sportikone. Weltweit standen Menschen nachts auf, um seine Kämpfe zu sehen. Seine große Klappe war faszinierend, seine Haltung auch: Er verweigerte den Wehrdienst und den Einsatz in Vietnam, wurde dafür zu fünf Jahren Haft verurteilt. Er blieb gegen Kaution auf freiem Fuß, durfte aber drei Jahre nicht boxen, ehe er sich 1974 den WM-Titel beim „Rumble in the Jungle“ gegen George Foreman zurückholte; heldenhaft.
Doch Ali war auch ein wandelnder Widerspruch. Vor der Kamera gab er den Lautsprecher und kaschierte damit oft nur seine Ängste. Für Kinder in Krankenhäusern machte er den Clown, vernachlässigte aber seine eigenen. Bei seinem letzten Kampf 1981 auf den Bahamas gegen einen gewissen Trevor Berbick hing er wehrlos in den Seilen. Es war kein würdevoller Abgang, umso würdevoller war sein Auftritt 1996 in Atlanta: Bei den Olympischen Spielen entzündete ein schwerkranker Ali das Feuer und berührte die Welt – ungewöhnlich still und doch ganz stark.