„Tatort“-Star Wagner: „Die Besetzung Wolfram Weimer ist Ausdruck eines Kulturkampfs“

Hans-Jochen Wagner („Tatort“) ist einer der beliebtesten Fernsehstars Deutschlands. Jetzt positioniert er sich öffentlich gegen den Kulturstaatsminister von Friedrich Merz.

Herr Wagner, Sie gehören zu den Erstunterzeichnern einer Petition gegen Wolfram Weimer als neuen Kulturstaatsminister, die inzwischen zigtausende Unterstützer gefunden hat. Warum ist ein konservativer und wirtschaftsliberaler Publizist aus Ihrer Sicht ungeeignet? 
Ob er kompetent ist oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Es fällt bloß auf, dass er über keine nennenswerten Kontakte in die Kulturbranche verfügt. Ich habe diese Petition unterschrieben, weil ich die Hoffnung habe, dass eine Diskussion angestoßen wird. Der deutschen Kulturbranche geht es schlecht, überall wird gespart, ständig hört man von Filmproduktionen, die in Konkurs gehen, Kollegen und Kolleginnen, die arbeitslos sind. Das ist nicht die Situation, in der ein Kanzler das Kulturstaatsministerium, überspitzt gesagt, in die Hände eines Golfplatzkumpels vom Tegernsee geben sollte.

Lauter designierte: Friedrich Merz, Wolfram Weimer und Katherina Reiche – demnächst Kanzler, Kulturstaatsminister und Wirtschaftsministerin
© Florian Gaertner

Warum, glauben Sie, hat Friedrich Merz den Gründer des Magazins „Cicero“ dafür ausgewählt? 
Ich habe in meiner Laufbahn unterschiedliche Kulturpolitiker erlebt, auch von der CDU, die mich durch ihren Pragmatismus und ihre Offenheit gegenüber dem Kulturbetrieb beeindruckten. Für manchen Ministerpräsidenten war die Kulturbranche auch bloß ein hübsches Aushängeschild für das Land, aber auch das war irgendwie okay. Doch nun, da die Kassen leerer werden, der Druck von rechts steigt, und manche Künstler und Künstlerinnen Ansichten vertreten, die der aktuellen Politik nicht passen, ist es mit dieser Liebesbeziehung vorbei. Die Besetzung des Kulturstaatsministers mit einem ausgewiesenen Rechtskonservativen ist der Ausdruck eines Kulturkampfs, der aller Ortens zu spüren ist

Wie äußert sich dieser Kulturkampf?
Ich höre auch aus Theatern, dass plötzlich von verschiedensten Seiten versucht wird, Einfluss zu nehmen. Rolf Hochhuth sagte einmal den prägnanten Satz: Als die Zensur abgeschafft wurde, führte man die Subvention ein. Das trifft heute wieder zu, die Politik glaubt Einfluss nehmen zu können, bloß weil sie die Mittel verteilt. Egal wie man zum Gaza-Konflikt steht, sollte es uns doch allen unangenehm sein, internationale Künstler irgendwelche Grundsatzpapiere unterschreiben zu lassen, bevor sie auftreten dürfen. 

Die Kritik an Wolfram Weimer bezieht sich auch auf sein 2018 erschienenes „Konservatives Manifest“. Im stern-Interview sagt Weimer die Zitate wären aus dem Zusammenhang gerissen. Vielmehr sei er ein „Verfechter unserer Kultur und seiner Ideale”.
Ich habe seine Sätze von der „Fortdauer des eigenen Blutes“ und der „biologischen Selbstaufgabe“ Europas sehr genau gelesen und auch den Zusammenhang, in welchem er sie geschrieben hat. Ich halte das weiterhin für problematisch, auch wenn er sich jetzt davon zu distanzieren versucht. Wenn sich Herr Weimer über die demografische Entwicklung des Landes solche Sorgen macht, frage ich, warum er nicht die eigentlichen Gründe benennt. Ich habe auch nur ein Kind und nicht drei, weil es anders nicht zu schaffen wäre. Es hat auch sehr viel mit der Politik in Deutschland zu tun, dass auch Doppelverdiener, oft einfach an der Unvereinbarkeit von Familie und Beruf scheitern – gerade im Kulturbetrieb. Herr Weimer kommt aber gar nicht erst auf die Idee, dass vielleicht die fortwährende Liberalisierung der Wirtschaft und der zunehmende Globalisierungsdruck eine Rolle bei der demografischen Entwicklung spielen und nicht, wie er behauptet, eine Art Verfall traditioneller und religiöser Werte. Ich selbst habe immerhin das “Tatort”-Engagement und komme besser über die Runden, für viele jüngere Kollegen und Kolleginnen sieht es viel schlechter aus. Deren Arbeitsrealität ist viel disruptiver, kaum planbar. Natürlich gründen die erst mal keine Familien. 

Inwiefern haben sich die künstlerischen Bedingungen verändert?
Der wirtschaftliche Druck ist überall spürbar. Die Theater waren früher nicht so unter Druck, zu organisieren, rauszuhauen. Ensembles waren früher renitenter, da wurde viel diskutiert, ausprobiert, und ja: auch mal der Betrieb aufgehalten. Auch beim Film konnte viel länger gedreht werden. Dass wegen Schauspiel-Genies wie Klaus Kinski oder anderen, schwierig und auch mal alkoholisiert, einst auch einfach mal ein Drehtag ausfiel oder verschoben wurden, ist heute praktisch undenkbar. Wenn heutzutage ein Drehtag wegen mir ausfällt, wird sofort meine Versicherung für den nächsten Film teurer.

Warum tun sich die Unionsparteien mit der Besatzung kulturpolitischer Posten oft so schwer? In Hamburg sollte einmal die Schlagersängerin Vicky Leandros Kultursenatorin werden, nach Protesten entschied man sich dann für die Kulturredakteurin der „Bild“-Zeitung. In Berlin ist gerade der Musikmanager Joe Chialo als Senator gescheitert und zurückgetreten. 
Das ist eine berechtigte Frage. Ich unterstelle einmal, dass die CDU weniger Menschen aus dem Kulturbetrieb versammelt als solche, die gerne mal in die Oper gehen und sich der sogenannten Hochkultur erfreuen. Wie man in Berlin gesehen hat, fällt es solchen nicht schwer am Kulturbudget zu streichen. Es heißt dann immer: „Es gibt halt weniger Geld“ Ich frage dann gerne: Achso? Wo ist es denn? Was macht der Staat denn mit dem ganzen Geld, wurde das geklaut oder versehentlich im Klo runtergespült? Es sind doch gelenkte Prozesse, dass plötzlich weniger Budget da ist, das hat mit Umverteilung nach oben und der Wirtschafts- und Steuerpolitik zu tun. Ich empfinde das als Riesenfrechheit, wenn Berlins Regierender Bürgermeister die hämische Frage stellt, warum die Kassiererin an der Supermarktkasse mit ihren Steuergeldern einen Opernbetrieb mitfinanzieren soll. Es demütigt auch die Kassiererin, als würde sie per se kein Interesse an Kultur haben.

Interessanterweise haben dennoch konservative Kulturpolitiker mutige Personalentscheidungen getroffen. Mit Çağla Ilk hat etwa Joe Chialo eine ideale Intendantin für das Maxim Gorki Theater gefunden, mit Mathias Lilienthal und Florentine Holzinger das angebliche Traumduo für die Volksbühne.
Immerhin wird das von ihm in guter Erinnerung bleiben. Ich habe den Eindruck, Joe Chialo war als Kultursenator vornehmlich Kanonenfutter. Das hat er nun eingesehen und wohl deshalb hingeschmissen. Man benutzte ihn als Über­bringer schlechter Nach­richten, er wurde wie eine Art Prügel­knabe vorgeschickt, um der fassungs­losen Kultur­szene radikale Einspa­rungen in ihrem Bereich salbungs­voll zu verkünden, ohne vorher das Gespräch mit ihr gesucht zu haben – anschließend musste er die berechtigte Wut, die dieses Vorgehen ausgelöst hat, über sich ergehen lassen. Mir tut er fast leid, weil er oft bloß hilflos wirkte.

Oft verspricht man sich von Quereinsteigern frische Gedanken und ungewöhnlichere Ansatzpunkte. Warum gelingt dies in der Politik so selten?
Keine Parteibindung zu haben, klingt gut, ist aber nicht immer ein Vorteil. Weil man dadurch in entscheidenden Sitzungen oft nicht eingebunden ist. Man kann fachlich noch so kompetent sein, wenn in Parteigremien über einen hinwegregiert wird. Das läuft ja nicht wie in den USA, wo ein Elon Musk in jede Behörde reinlatscht und sagt: Hi, ich bin jetzt auch da. In unserer derzeitigen Lage bräuchte die Kultur einen starken Fürsprecher, der sich auskennt, Kontakte hat, und um die Nöte und Sorgen der Kulturschaffenden Bescheid weiß. Und nicht jemand, der ein Problem damit hat, wenn auf einer Theaterbühne gegendert wird. Im „Spiegel“ war zu lesen, das Kulturstaatsministerium wäre das „ideelle Kraftzentrum, die Verankerung im Zeitgeist” dieser Regierung. Ich habe diesen Artikel vielfach zugeschickt bekommen, und immer wieder den Kopf geschüttelt: Wenn das so sein sollte, ist es dann nicht erst recht ein Skandal?

Auch Konservative wähnen sich in einem Kulturkampf, der angeblich von linker Seite eröffnet worden sei: Antisemitismus auf der Documenta, keine Berlinale ohne Israelhass, öffentlich-rechtliche Sender, die gegen den Willen des Publikums auf Gendersprache bestehen. Ist Wolfram Weimer vielleicht bloß die Antwort darauf?
Natürlich löst jeder gesellschaftliche Aufbruch bei Konservativen Nervosität hervor. Das spürt man deutlich seit der MeToo-Debatte, seit „Black Lives Matter”, Gendersprache bringt viele auf die Palme. Wie haben die den Aufschrei der Gottschalks und Hallervordens vernommen, die nicht damit klarkommen, wenn es kein „Zigeunerschnitzel“ auf der Speisekarte gibt. Ist das nicht völlig irre, wenn das Niveau der Debatte sein soll? Weltweit erleben wir den Siegeszug sehr rechter Kräfte, spüren den Druck auf die Kulturinstitutionen. Und wir regen uns darüber auf, weil es im Konzerthaus plötzlich eine dritte Toilette gibt?

Friedrich Merz hatte einen Politikwechsel versprochen. Ist er nicht schlicht demokratisch legitimiert, einen solchen nun umzusetzen?
Mag sein, zur Demokratie gehört jedoch auch, dass man widersprechen darf. Natürlich kann Herr Merz seine Ministerien besetzen, wie er es für richtig hält, aber es gehört zum demokratischen Prozess, dass wir ihn fragen dürfen, warum ausgerechnet mit diesem Mann.

Gibt es eine Person, die sie gerne auf dem Posten gesehen hätten?
Grundsätzlich wäre es begrüßenswert, wenn die deutsche Kulturpolitik nicht von einzelnen Persönlichkeiten bestimmt würde, sondern von einem runden Tisch vieler Menschen aus dem Betrieb. Die Kulturszene ist keine Flughafenbaustelle, wo man eben mal einen Krisenmanager einsetzt, um das Ding fertig zu bauen, was dann auch erstmal nicht funktioniert hat. Es bräuchte ein dauerhaftes Gremium kompetenter Persönlichkeiten. Doch davon sind wir heute weiter weg, als je zuvor.

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