Lars Klingbeil wird der mächtige Mann in der SPD. Der künftige Finanzminister bestimmt bei den Personalien im Kabinett mit. Doch seinen Umgang mit Saskia Esken kritisieren Medien.
Die SPD hat dem Koalitionsvertrag mit der Union zugestimmt. Nun will die Partei ihr Regierungsteam am Montag offiziell vorstellen. Gesetzt ist, dass Klingbeil Vizekanzler und Finanzminister werden soll. Die SPD stellt sieben Ministerinnen und Minister in der künftigen schwarz-roten Regierung.
Als sicher gilt, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius sein Amt behalten wird – auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze könnte im Amt bleiben. Unklar war weiterhin die Zukunft von Co-Parteichefin Saskia Esken. Sie wird als mögliche Ministerin etwa für Arbeit und Soziales oder Entwicklungszusammenarbeit genannt. Esken vertritt den linken Parteiflügel und ist in der SPD umstritten.
So kommentiert die Presse die SPD-Entscheidungen
„Märkische Oderzeitung“: „Nun haben also 84,6 Prozent der reichlichen Hälfte der Mitglieder einer Partei, die nicht einmal ein Sechstel der Wählerschaft hinter sich hat, über das Wohl und Wehe des Landes abgestimmt. Ja, und nun? Niemand liebt Erpresser. Und schon hat die Union klargemacht, dass sie sich nach der Regierungsbildung revanchieren will. Bei der Ankündigung großer Sozialreformen, die – hat man so etwas schon gehört? – nicht im Koalitionsvertrag stehen, sollte es den Genossen in den Ohren gellen. Denn nun sitzt die Union am längeren Hebel. Was würde wohl aus der SPD, wenn Schwarz-Rot platzt? Man darf getrost davon ausgehen, dass Merz und Co. den Sozialdemokraten schon zeigen werden, was es bedeutet, Juniorpartner zu sein.“
„Münchner Merkur“: „Anders als Juso-Chef Türmer und dessen Genossen-Generation Z haben die lebenserfahrenen älteren Parteimitglieder verstanden, dass 16 Prozent Wählerzuspruch kein Auftrag sind, 100 Prozent SPD-Positionen durchzusetzen. Und dass, wer Friedrich Merz nicht will, am Ende Alice Weidel kriegt. Ein bisschen weniger Weltschmerz hätte der SPD gut zu Gesicht gestanden. Sie hat zwar nicht die Wahl gewonnen, aber den Poker danach. Wie schon 2005, 2013 und 2017. Auch wenn’s umgekehrt besser wäre: Im Verhandeln hat es die Partei zu einer Raffinesse gebracht, die ihr beim Werben um Wähler leider verloren gegangen ist. Merz ist nicht zu beneiden um die Aufgabe, mit dieser Sozialdemokratie und ihrem übellaunigen Nachwuchs einen Aufbruch fürs Land herbeizuzaubern. Doch er hat eine Chance: Die Messlatte für Schwarz-Rot hängt so tief, dass es ein Kunststück wäre, sie trotzdem zu reißen.“
„Kölner Stadt-Anzeiger“: „Abgeordneten der SPD, die womöglich noch glauben, am kommenden Dienstag dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz bei der Wahl zum Bundeskanzler aus Enttäuschung über den Koalitionsvertrag oder die Kabinettsliste die Stimme verweigern zu müssen, sei zugerufen: In diesen fragilen Zeiten ist kein Platz für Zockerei. Der Erfolg oder Misserfolg von Merz entscheidet jetzt über die Stabilität Deutschlands. Auch die SPD kann erst einmal nur maximales Interesse daran haben, Merz nach Kräften zu unterstützen. Schon ohne Zerwürfnis der Verhandler ist die AfD in Umfragen stärkste Kraft geworden. Entscheidend ist im Moment nicht, ob man Merz mag oder nicht, sondern nur, ob Deutschland mit ihm vorankommt. Ob Brücken und Schulen saniert, Steuern für Unternehmen und Bevölkerung gerecht eingenommen und Strompreise gesenkt werden. Und Deutschland seiner Bedeutung als größte Volkswirtschaft Europas wieder gerecht wird.“
„Neue Osnabrücker Zeitung“: „Dass manche Partei-Linke, allen voran die Jusos, gegen Schwarz-Rot waren und für ein Nein beim Mitgliedervotum kämpften, das war nicht in Ordnung. Das war eigentlich auch nicht sozialdemokratisch, schon gar nicht progressiv, sondern spießig. Zum Glück fürs Land und für die SPD selbst hat sich die Vernunft durchgesetzt: Das Ja fiel am Ende klar und deutlich aus, weil sich die meisten Gegner nicht beteiligten. Bei einem Nein hätte sich Lars Klingbeil bei Ex-FDP-Chef und Ex-Ampel-Kumpel Christian Lindner erkundigen können, wie es so ist in der politischen Bedeutungslosigkeit. Nun wird Klingbeil Vizekanzler und Finanzminister und könnte die SPD zu neuer Stärke führen.“
Kritik an Lars Klingbeil: Zauderhaft bei Kontroverse um Saskia Esken
„Frankfurter Rundschau“: „Für die SPD ist die Fixierung auf Klingbeil aber ein Risiko. Seit dem Wahltag ist die Partei einzig vom Ehrgeiz des Parteivorsitzenden geprägt. Was bisher völlig außer Acht gelassen wurde, war auch nur der geringste Ansatz, das niederschmetternde Wahlergebnis inhaltlich aufzuarbeiten. (…) Es ist mehr als zweifelhaft, dass der künftige Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil tatsächlich den Spagat zwischen Regierungsamt und Parteivorsitz so bewältigen kann, dass die dringend erforderliche Erneuerung der SPD nicht zu kurz kommt.“
„Stuttgarter Zeitung“: „Klingbeil hätte Esken entweder frühzeitig zum Verzicht bewegen müssen. Oder aber er hätte sich so vor seine Co-Vorsitzende stellen müssen, dass nicht mehr ständig auf sie geschossen worden wäre. Falls Saskia Esken als Verliererin ohne jedes Amt vom Spielfeld geht, wird die SPD nun als eine Partei dastehen, die ihre Vorsitzende rücksichtlos gemeuchelt hat. Eine Partei, die nach der Wiederniederlage dem Mann an der Spitze alles gibt, was er will, und nur die Frau an der Spitze gnadenlos abstraft. Wird Esken aber Ministerin, startet sie beschädigt in ihr Amt. Es ist verrückt zuzulassen, dass eine Person erst verprügelt wird – und sie dann auf die Bühne zu holen, um ihr einen Orden umzuhängen. So lief es schon bei Olaf Scholz und der Frage der Kanzlerkandidatur. Auch hier war es Klingbeil, der die Entscheidung nicht früh genug gesucht hat. Er wartet aus Konfliktscheu zu lange. Das muss er ändern, wenn er ein starker Vizekanzler sein will.“
„Augsburger Allgemeine“: „Olaf Scholz als Kanzler hat der SPD mehr geschadet als genutzt, und auch Saskia Esken würde ihr mehr schaden als nutzen, wenn sie tatsächlich mit einem Ministerposten für den Rückzug vom Parteivorsitz belohnt werden sollte. Aus ihrer Sicht mag es ungerecht sein, die alleinige Verantwortung für das verheerende Wahlergebnis übernehmen zu müssen, schließlich hat Klingbeil die Partei gemeinsam mit ihr ins demoskopische Elend geführt. Er aber ist, anders als sie, zumindest ein Versprechen auf bessere Zeiten, nicht so ideologisch, jung genug, um auf seine Chance warten zu können, und draußen, im Land, um einiges besser vermittelbar.“
„Rhein-Neckar-Zeitung“: „Wie derzeit kaum eine andere Politikerin polarisiert Saskia Esken. Viele Menschen lehnen sie ab. Aber das ist in der Politik kein Vergehen, sondern im Gegenteil eine Auszeichnung. Die SPD-Chefin wird in ihrem Wirken wahrgenommen. Und bereits zweimal waren auf Bundesparteitagen drei von vier Delegierten der Meinung, Esken sei die richtige Frau an der Spitze. Es wäre schlicht nicht nachvollziehbar, wenn jetzt der eine Parteichef, Lars Klingbeil, nach der historischen SPD-Wahlniederlage durchstartet, während seine Co. sang- und klanglos rausgekegelt wird. Das hätte Esken auch nicht verdient. Weil Klingbeil (…) die von jeglichem Stil befreite laufen ließ, stellen sich Fragen an seine Eignung als zweitwichtigster Kopf der künftigen Koalition. Drei Tage bleiben ihm noch, die Causa Esken zu einem gütlichen Abschluss zu bringen. Entscheidet er sich stattdessen für eine hässliche Lösung, geht er selbst beschädigt aus dem Machtkampf hervor.“
„Rhein-Zeitung“: „Die Partei darf auch ihre Hoffnungsträger aus Angst vor Konflikten mit amtierenden Spitzenleuten nicht schwächen. Für Klingbeil heißt das zuerst, dass eine Trennung von Vizekanzleramt und Parteivorsitz nicht ratsam wäre. Will er 2029 Kanzlerkandidat werden, muss er den Parteivorsitz behalten. Dem sollte die SPD weitere Personalien unterordnen und nicht aus falscher Rücksicht auf Esken Verlegenheitslösungen wählen. Indem Esken es unterließ, frühzeitig Machtperspektiven für sich zu sichern, müsste sie nun selbst die Konsequenzen aus ihrem schlechten Wahlkreisergebnis und dem Fakt ziehen, dass ihr Landesverband sie fallen ließ.“
„Handelsblatt“: „Auch wenn Klingbeil durch seine langen Jahre in der SPD-Parteispitze politisch gestählt ist, steht ihm die große politische Reifeprüfung erst noch bevor. Er muss sich als Finanzminister beweisen, die Koalition zusammenhalten und die SPD erneuern. Schon bei der Besetzung der Ministerposten wird der bisher in der Partei beliebte Klingbeil unweigerlich anecken. Wie schwer ihm solche Entscheidungen fallen, zeigte die Hängepartie um die Kanzlerkandidatur, die der SPD-Chef viel zu lange laufen ließ. Auch aktuell im Umgang mit Saskia Esken macht Klingbeil keine gute Figur. Sehenden Auges lässt er zu, wie seine Co-Parteichefin von den eigenen Leuten auf offener Bühne desavouiert wird, und trägt damit selbst maßgeblich zum Mobbing gegen sie bei. Niemand muss Esken als Politikerin mögen, aber einen solchen Umgang hat sie als langjährige SPD-Vorsitzende nicht verdient.“