Massensuizid 1945: Schauplatz der Verzweiflung: Die Selbstmordwelle von Demmin

Demmin, Frühjahr 1945: Als die Rote Armee einmarschiert, töten sich Hunderte Frauen und Männer selbst. Es ist die größte Selbstmordwelle der deutschen Geschichte.

Als die ersten sowjetischen Panzer durch die Straßen rollen, greifen der 27-jährige Lothar Büchner, seine Frau, seine Schwägerin, seine Schwiegermutter und die alte Großmutter zu Stricken. Wahrscheinlich ist es Lothar Büchner selbst, der zuerst seinen dreijährigen Sohn aufknüpft. Anschließend erhängen sich die Erwachsenen.

Kurz bevor die Rote Armee in die vorpommersche Kleinstadt Demmin einmarschiert ist, hatte die deutsche Wehrmacht auf ihrem Rückzug drei Brücken hinter sich gesprengt – und damit eine Falle geschaffen: Keiner der verbliebenen Bewohner, keiner der Flüchtlinge aus dem Osten, die in jenen Tagen zu Tausenden in die Altstadt von Demmin strömen, kann jetzt noch den sicheren Westen erreichen.

Mindestens 500 Menschen Sterben beim Massensuizid in Demmin

Es ist der 30. April 1945, als sich Lothar Büchner und seine Familie dazu entscheiden, ihr Schicksal nicht den eintreffenden Rotarmisten zu überlassen. Insgesamt 17 Demminer sterben an diesem einen Tag durch eigene Hand, vier kleine Kinder nehmen sie mit in den Tod.

Doch diese Suizide bilden nur den Anfang einer Massenhysterie, die als die größte Selbstmordwelle der deutschen Geschichte enden wird: Bis Mitte Mai töten mindestens 500, vermutlich sogar mehr als 1000 Menschen in der besetzten Stadt, in der der Krieg, das große Sterben, eigentlich vor über sein sollte, sich selbst – und vielfach ihre Kinder.

Viele fühlen sich von den deutschen Truppen verraten; manche sehen mit dem Untergang des „Dritten Reiches“ auch das eigene Schicksal am Ende; etliche verzweifeln angesichts der Gewalttaten, der Brandstiftungen, Plünderungen und Vergewaltigungen von Rotarmisten, die vielfach ihrem Hass nach dem zahllosen Tod ihrer Landsleute im deutschen Vernichtungskrieg freien Lauf lassen.

Alte nehmen Gift, Ehepaare erhängen sich in ihren Wohnzimmern oder im Keller, Eltern erschießen ihre Töchter und Söhne. Junge Frauen gehen mit ihren Säuglingen ins Wasser – auf ihren Schultern tragen sie Rucksäcke mit schweren Steinen, die sie unter Wasser halten sollen.

Es dauert Wochen, bis die vielen Toten in den Massengräbern des Demminer Friedhofs liegen. Hunderte von ihnen sind Flüchtlinge ohne Papiere – ihre Identität ist bis heute unbekannt.

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