Machtkampf im BSW: Die Schmach von Gera: Sahra Wagenknechts Niederlage

Gegen den erklärten Willen von Sahra Wagenknecht bleibt die Thüringer Vizeregierungschefin Katja Wolf Landeschefin des BSW. Der Angriff aus Berlin wurde abgewehrt. 

Und dann, kurz nach 15 Uhr, ist es passiert. Jubel tönt am Samstag durch den großen Saal des Kongresszentrums von Gera. Sahra Wagenknecht hat verloren. In Abwesenheit zwar, aber dafür sehr deutlich. Und in aller Öffentlichkeit. 

61 Mitglieder des Thüringer BSW-Landesverbandes haben das getan, was Wagenknecht unbedingt verhindern wollte: Sie haben Katja Wolf als Landesvorsitzende bestätigt. Die vom Bundesvorstand unterstützte Gegenkandidatin – die Landtagsabgeordnete Anke Wirsing – erhielt gerade einmal 35 Stimmen.  

Damit kann Wolf Vizeministerpräsidentin und Finanzministerin bleiben. Eine Erosion der Koalition mit CDU und SPD ist vorerst abgewendet. „Ich bin sehr glücklich“, sagt sie dem stern. „Wir stehen weiter zu unserer Verantwortung für Thüringen.“

Und was sagt sie zur Bundesvorsitzenden? Wolf lächelt entspannt. „Ich glaube, dass Sahra Wagenknecht jetzt verstanden hat, dass es besser gemeinsam geht und sie mit mir zurechtkommen muss,“ antwortet sie. Dann wartet schon das nächste Mikrofon.

Die Niederlage von Sahra Wagenknecht ist komplett

Während Wolf Interviews gibt, wird die Niederlage ihrer Gegner komplettiert. Der Kampfkandidat für den Co-Vorsitz zieht sich zurück. Damit wird der Weimarer Musiker Gernot Süßmuth unangefochten zum zweiten Landesvorsitzenden gewählt. So wie von Wolf gewünscht. 

Wagenknechts Generalsekretär, der in Gera noch einmal für die Ablösung Wolfs geworben hatte, versucht, den gefassten Verlierer zu geben. „Wir hätten es schlauer gefunden, Partei- und Regierungsamt zu trennen“, sagt er dem stern. „Aber das war eine demokratische Wahl, die wir natürlich akzeptieren.“

Das Drama, das im realsozialistischen Ambiente Kongresszentrums dargeboten wurde, hat einen langen Vorlauf. Er begann mit der Thüringer Landtagswahl im September. Damals erzielte das BSW ein Rekordergebnis von 15,8 Prozent. Wie in Sachsen und Brandenburg war ohne seine Beteiligung keine Mehrheit jenseits der AfD zu bilden.

Wagenknecht fürchtete, dass Koalitionskompromisse in den Ländern die radikalpopulistische Frontlinie für die Bundestagswahl gefährden könnten und versuchte, wenigstens die Regierungsbildungen mit der CDU zu erschweren. In Sachsen hatte sie damit Erfolg. Doch in Thüringen lief sie bei Wolf und ihrem Co-Vorsitzenden Steffen Schütz auf. Es kam zum ersten Großkonflikt. 

Dann aber implodiert die Ampel-Bundesregierung und die vorgezogene Neuwahl nötigte Wagenknecht zum Einlenken. In Erfurt wurde die erste und einzige CDU-SPD-BSW-Koalition gebildet. 

Doch nachdem das BSW den Einzug in den Bundestag verpasst hatte, begann der Machtkampf erneut. Die thüringische Regierungsbeteiligung habe Vertrauen und Stimmen gekostet, sagte Wagenknecht. 

Anfang April eröffnete dann Generalsekretär Leye den direkten Angriff. Er unterstützte öffentlich die Kampfkandidaturen von Wirsing und mehrerer ihrer Mitstreiter gegen die Landesspitze. Es gehe dabei nicht gegen Wolf, sagte er, sondern allein um eine Entlastung der Kabinettsmitglieder von der Parteiarbeit und die stärkere Profilierung des BSW jenseits der Regierung.

Neben Animositäten, Konkurrenzdenken und inhaltlichen Differenzen existiert ein strategischer Zielkonflikt. Die Mehrheit im Bundesvorstand will das BSW bei den 2026 anstehenden Landtagswahlen wieder als ausschließlich populistische und fundamental-oppositionelle Kraft profilieren. Die Beteiligung an einer Landesregierung unter der künftigen Kanzlerpartei CDU wirkt da eher als Ballast. 

Für Wolf und ihre Mitstreiter stehen hingegen Thüringen und ihr Landesverband im Zentrum. Sie wollen weiter regieren.

Genau dieser grundsätzliche Streit wird an diesem Samstag in Gera ausgetragen, was jedoch der eigens angereiste Generalsekretär Leye zu Beginn des Parteitags zu verwischen versucht. Ja, es gebe „eine unterschiedliche Einschätzung, wie wir uns strategisch aufstellen“, sagt er in seiner Rede. Aber dies sei weder, wie die Medien in ihren „Legenden“ behaupteten, „ein Machtkampf“ noch der Versuch, die Thüringer Regierung platzen zu lassen. 

Dabei ist, rein quantitativ betrachtet, alles sehr überschaubar. Nur gut 90 der knapp 130 Mitglieder des Landesverbandes sind gekommen. Sie werden von rund 60 Unterstützern und 30 Journalisten dabei beobachtet, wie sie sich durch die lange Tagesordnung mühen.  

Es herrscht eine seltsam ambivalente Stimmung im Saal. Einerseits zwingen sich die Kombattanten zu diplomatischen Freundlichkeiten. Wolf klatscht immer wieder bei der Rede Leyes, den sie zur Begrüßung gar für die Fernsehkameras umarmt hat. Der Generalsekretär wiederum belobigt Wolf für ihr Engagement und ihre Klugheit. 

„Deshalb hat sich die Führung …“

Andererseits ist die Anspannung permanent zu spüren. Leye bekräftigt, dass in Thüringen Vertrauen zurückgewonnen werden müsse und sagt: „Deshalb hat sich die Führung dafür ausgesprochen, Partei und Regierung zu trennen.“ 

Doch er muss spüren, dass die Mehrheit dagegen steht. Schon am Morgen hatte er Wolf insgeheim angeboten, ihre Wiederwahl zu unterstützen, falls sie wiederum Wirsing als Co-Chefin akzeptiere. Doch Wolf lehnt ab. Sie ist wieder einmal besser vorbereitet. 

Zwei Tage zuvor hatte ihr Co-Chef Schütz auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Parallel zum taktischen Rückzug des Infrastrukturministers wurde das einfache Basismitglied Süßmuth als Nachfolgekandidat präsentiert, um die Trennung von Partei und Regierung zu repräsentieren.

Einer wagt die Eskalation

Schütz ist es auch, der in Gera die Eskalation mit Leye wagt. Die Kritik an der Koalition sei „falsch und unfair“, ruft er, um dann selbst Kritik an Berlin zu üben: „Wenn nur der Bundesvorstand bestimmt, was gut und richtig ist, und die Landesverbände gefälligst zu folgen haben, dann ist das abschreckend.“

Jetzt wird es laut. Eine Unterstützerin von Wirsing tritt hörbar empört ans Mikrofon und attackiert Schütz. Es sei falsch, ständig Berlin „zu bashen“, ruft sie. Doch sie wird ausgebuht. Dann ist auch schon wieder Ruhe.

Wie klar die Mehrheitsverhältnisse sind, zeigt sich auch in der Satzungsdebatte. Vier Anträge, die in verschiedenen Varianten die Trennung von Partei-, Regierungsämtern und Parlamentsmandaten vorsehen, werden mehr oder minder deutlich abgelehnt.  

Und dann hält Anke Wirsing ihre Bewerbungsrede für den Landesvorsitz. Genauer: Sie liest ihren Text ab, lobt „die politische Geradlinigkeit von Sahra Wagenknecht und den Mut ihrer Mitstreiter“, ohne den das BSW gar nicht im Landtag säße. „Die“, sagt sie, „scheint so manch einer vergessen zu haben.“

Nur Zitate, keine Ideen

Je länger Wirsing in Gera vorliest, umso deutlicher wird, dass sie neben Zitaten der Vorsitzenden Wagenknecht und Allgemeinplätzen keine eignen Ideen vorzubringen hat. Auf die Nachfrage eines Mitglieds, welche Impulse sie setzen wolle, antwortet Wirsing, dass dies der neue Vorstand zu entscheiden habe.

Dann tritt Wolf auf. Es erfordere „Stärke, Durchsetzungsvermögen und Erfahrung“, um eine Regierung und Landespartei zu führen. „Es geht eben nicht einfach so, jemanden in den Koalitionsausschuss zu senden“, sagt sie. Im Übrigen sei es „demütigend“, dass immer noch keine neuen Mitglieder aufgenommen würden. Dann schaut sie Leye direkt an und sagt: „Es ist schade, dass Christian vorhin nichts dazu gesagt hat.“

Spätestens jetzt ist klar, dass Wolf wieder gewonnen hat. Als das Ergebnis bekannt gegeben wird, überrascht höchstens, dass es so klar ausfällt. 

Wagenknechts Generalsekretär steht vor dem Saal und versucht, Reststärke zu demonstrieren. „Jetzt muss der neue Landesvorstand liefern“, sagt er. „Wir werden jedenfalls als Bundesvorstand weiter Thüringen eng begleiten.“

Leye spricht als einziger für die Gesamtpartei. Die Gründerin, Namensgeberin und Bundesvorsitzende sagt am Samstag zu ihrer Schmach von Gera: nichts. 

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