Haben wir genügend Bunker? Die Bundeswehr erhält eine saftige Geldspritze, doch für den Zivilschutz sieht es düster aus.
Seit drei Jahren tobt der russische Krieg gegen die Ukraine – ein Krieg direkt vor unserer Haustür. Gerade erst sind entsetzliche Bilder vom Raketenangriff auf die ukrainische Stadt Sumy um die Welt gegangen. Tag für Tag müssen die Menschen in der Ukraine Schutz vor Raketen, Bomben, Drohnen suchen. Angesichts solcher Szenen stellt sich die Frage, wie gut Deutschland eigentlich in Sachen Zivilschutz aufgestellt ist, falls es auch hierzulande zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt.
579 Schutzräume – und keiner einsatzbereit
Die Antwort lautet: nicht sonderlich gut. Das wird deutlich, wenn man dem Bunkerexperten Jörg Diester zuhört. Bereits seit 20 Jahren beschäftigt er sich mit den Schutzanlagen in Deutschland, hat Bücher darüber veröffentlicht und arbeitet ehrenamtlich für Bunker-Dokumentationsstätten. Für ihn steht fest: „Es ist eine ganz, ganz schwierige Situation, die wir da haben.“
Eine Bestandsaufnahme der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) und des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hat ergeben, dass von den 579 öffentlichen Schutzräumen, die hierzulande noch zur Verfügung stehen, kein einziger funktionsfähig ist – geschweige denn einsatzbereit.
Doch selbst wenn alle 579 Bunker ihren Zweck erfüllen würden, hieße das bei einer Bevölkerungszahl von rund 83,6 Millionen (Stand: September 2024): Stäbchen ziehen. Platz wäre in dem Fall nämlich nur für circa 478.000 Menschen. Das entspricht gerade mal 0,6 Prozent der Bevölkerung.
Das war allerdings auch früher, zu Zeiten des kalten Kriegs, nicht wesentlich besser. „Da reden wir über 1,8 Prozent der Bevölkerung“, schildert Jörg Diester die Kapazitäten der Zivilschutzanlagen zu jener Zeit. Damals gab es etwa 2000 öffentliche Schutzräume. Doch im Zuge der sogenannten „Friedensdividende“ sank die Zahl kontinuierlich. Friedensdividende meint in diesem Fall: die Entlastung des Staatshaushalts durch die Senkung von Rüstungs- und Verteidigungsausgaben nach Ende des Kalten Krieges.
Zahl der Bunker sinkt dank Entwidmungsverfahren
„Die Wahrnehmung im Bereich militärische Verteidigung und Zivilverteidigung war, dass wir keine Bedrohungslage mehr haben“, betont Diester. „Dann ist die Bundeswehr ziemlich abgerüstet worden, und im Bereich Zivilschutz hat sich genau das Gleiche abgespielt.“
Im Jahr 2007 entschied die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern, das bisherige Schutzprogramm aufzugeben und die öffentlichen Schutzräume nach und nach aus der Zivilschutzbindung zu entlassen. „Damit sind die zu diesem Zeitpunkt existierenden Schutzbauwerke nicht etwa geschlossen worden, sondern sie sind in ein sogenanntes Entwidmungsverfahren übergegangen“, so Diester. Nach einer solchen Entwidmung sind die öffentlichen Schutzbunker nicht mehr als solche klassifiziert und daher auch nicht mehr öffentlich zugänglich.
Übrig geblieben sind 579, die bei der Bestandsaufnahme anlässlich des russischen Angriffskriegs 2022 noch als öffentliche Schutzräume erfasst und bislang nicht entwidmet wurden. Nach Angaben eines Sprechers des Bundesinnenministeriums befindet sich die Entwidmung der Schutzräume seit März 2022 im Moratorium. Konkret bedeutet das, dass zum aktuellen Zeitpunkt unklar ist, ob sie weiter entwidmet oder genutzt werden.
30 Jahre Bauzeit, mindestens 400 Milliarden Euro Kosten
Dass eine zeitnahe Nutzung in Betracht kommt, ist nach Einschätzung von Experte Jörg Diester alles andere als wahrscheinlich. Ganz zu schweigen von der Gewährleistung einer hundertprozentigen Schutzplatzquote. Dafür müssten Anlagen neuerrichtet und alte Anlagen instandgesetzt werden. „Der Betrag, über den wir reden, liegt nach Hochrechnung des BBK zwischen 400 und 800 Milliarden Euro – Bauzeit circa dreißig Jahre.“
Ob es überhaupt sinnvoll ist, die alten Zivilschutzanlagen zu reaktivieren, muss erst noch geklärt werden. „Die meisten sind seit 1990 nicht mehr gewartet worden“, so Diester. Der Bunkerexperte hat in den letzten Jahren ungefähr 200 Anlagen besucht und kennt ihren Zustand.
Neue Bundesländer haben gar keine Zivilschutzanlagen
Die meisten der bestehenden öffentlichen Schutzräume sind heute im kommunalen oder Privatbesitz. Lediglich die „unabwendbaren Kosten“ werden laut BImA vom Bund erstattet. Bedeutet konkret: Nur wenn die Bauwerke tatsächlich einsturzgefährdet sind, springt er ein und unterstützt finanziell. Eine Instandhaltung, geschweige denn Wartung? Komplett ausgeschlossen.
Auf Anfrage des stern erklärt die BImA: „Aus diesem Grunde sind die noch dem Zivilschutz gewidmeten ÖSR (öffentliche Schutzräume) jedoch – bezogen auf ihren ursprünglichen Zweck des Schutzes vor den sogenannten CBRN-Gefahren (= chemische, biologische, radiologische und nukleare Gefahren) – weder funktionsfähig noch einsatzbereit.“
Hinzu kommt: Alle öffentlichen Schutzräume befinden sich derzeit in den westlichen Bundesländern. Grund hierfür ist, nach Angaben der BImA, dass nach der Wiedervereinigung die in der ehemaligen DDR bestehenden Zivilschutzanlagen nicht in das Schutzbaukonzept des Bundes übernommen wurden.
Schutzraumkonzept fehlt
Doch was tun, wenn es wirklich zum Ernstfall kommt? Aktuell gibt es kein nationales Schutzraumkonzept. Erst im Rahmen der Innenministerkonferenz im vergangenen Jahr haben sich Bund und Länder auf die Entwicklung eines solchen Zivilschutzplans geeinigt. Gemeinsam mit Bundeswehr und Ländern beabsichtigt das BMI, die folgenden Eckpunkte auszuarbeiten:
Räumlichkeiten erfassen, die als öffentlicher Schutzraum genutzt werden können. Bspw.: Tiefgaragen, U-Bahnhöfe und Kellerräumeeine digitale Karte erstellen, die Schutzräume in der näheren Umgebung zeigtHilfestellungen zum Selbstschutz und möglichen RäumlichkeitenInformationskampagnen über die Relevanz von Schutzräumen
Vorbilder für guten Zivilschutz sind Finnland und die Schweiz, mit Schutzquoten von 85 Prozent bzw. über 100 Prozent. Bis Deutschland ebenfalls solche Zahlen erreichen kann, dürfte es sicherlich noch eine Zeit lang dauern.
Quellen: Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS; Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA); Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI), Bundeszentrale für politische Bildung (bpb); Bunker-Dokumentationsstätten; finnisches Innenministerium; Statistisches Bundesamt