USA: Kein Mitleid mit weißen Frauen

Die Hauptprofiteure von „Diversity“-Programmen sind weiße Frauen. Blöd nur, dass sie selbst für Trump gewäht haben. 

Jennifer Piggott ist unröstlich. Die 47-jährige aus West Virginia war eine leidenschaftliche Anhängerin Donald Trumps, hat seine politischen Ziele unterstützt und seine aggressive Rhetorik mitgetragen. Nun aber sei sie selbst im Zuge der Politik Donald Trumps entlassen worden. Das örtliche Finanzamt, bei dem sie angestellt war, habe seine Belegschaft reduzieren müssen. Ihr Ehemann ist Veteran mit Behinderung. Unter Tränen erzählt sie der Nachrichtenagentur Reuters von den vielen Veteranen, die ebenfalls entlassen worden seien. Jennifer Piggott und ihr Mann werden wohl ihr Haus verkaufen müssen, um irgendwie über die Runden zu kommen.

Mein Mitleid hält sich in Grenzen. 

Es gibt einen zehn Jahre alten Tweet, der die aktuelle politische Situation und das Bedauern der US-amerikanischen Wählerschaft perfekt auf den Punkt bringt: „Ich hätte nie gedacht, dass Leoparden MEIN Gesicht fressen würden“, sagt eine Frau unter Tränen, die für die „Leoparden, die Gesichter fressen“-Partei gestimmt hat. Der Tweet ging viral und wurde zum sarkastischen Ausdruck, der Menschen beschreibt, die von der Politik einer Partei schockiert sind, obwohl sie diese Politik selbst befürwortet hatten.

Die Nachrichten, die man hierzulande aus den USA mitbekommt, sind verheerend. Der kompromisslose Sparkurs der neuen Regierung führte allein in den vergangenen zwei Monaten zu einer Entlassungswelle im öffentlichen Dienst, zum Ende zahlreicher Forschungsprojekte, unter anderem zur Bekämpfung von Krebs bei Kindern, zu einer Talfahrt der Aktienmärkte, wodurch viele Kleinsparer ihre Altersvorsorge verloren, und zu einer derart rigorosen Abschiebungsoffensive, dass in Florida eine Aufweichung der Gesetze zum Schutz von Kinderarbeit diskutiert wird – weil der nun folgende Arbeitskräftemangel verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft haben wird. Insbesondere Einwanderer, Saisonarbeiter und Nicht-Weiße, aber auch grundsätzlich alle Armen, Alten, Kranken und Schwachen leiden unter den politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen der neuen US-amerikanischen Regierung. Darunter viele weiße Frauen und Männer, die für Donald Trump gestimmt haben. 

Mein Mitgefühl ist begrenzt, denn weiße Frauen und Männer gehörten bei der US-Wahl 2024 zur unerschütterlichen Machtbasis Donald Trumps. Innerhalb der weißen Bevölkerung ohne Studienabschluss entschieden sich 63 Prozent der Frauen und 69 Prozent der Männer für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten.

Vielleicht hätten aber gerade sie aufhorchen sollen, als Donald Trump, Elon Musk und zahlreiche Republikaner der zweiten Reihe die Beendigung von „Diversity“-Maßnahmen zu ihrer wichtigsten politischen Maßnahme erklärten. Vielfalt, so argumentierte Trump im Wahlkampf, sei schließlich nur ein anderes Wort, um die Dummen und Faulen in staatliche Beschäftigung zu bringen. Nun müsse alles anders werden. Nun ginge es den Profiteuren dieser „Diversity-Exzesse“ an den Kragen. Die zahlreichen Ermittlungen, Anklagen und Gerichtsverfahren gegen seine Person erklärte sich Donald Trump mit „anti-weißem Rassismus“. Das werde mit seiner Wahl aufhören. Anfang März verkündete er im Kongress, er und seine Regierung hätten „die Tyrannei der sogenannten Diversitäts-, Gleichberechtigungs- und Inklusionspolitik in der gesamten Bundesregierung, im privaten Sektor und im Militär“ beendet.

Überraschung: Von Diversity profitieren vor allem Weiße

Donald Trump hat Wort gehalten. Die Zahl der Menschen, die in den letzten Monaten im Kampf gegen die Vielfaltsbemühungen US-amerikanischer Behörden ihren Job verloren haben, ist rekordverdächtig. Laut „New York Times“ sollen 60.000 Bundesbedienstete betroffen sein. Die 200.000 Personen, die sich aktuell in der Probezeit befinden, werden wohl als Nächstes ins Blickfeld geraten. Die Kündigungswellen erfassen alle Bereiche der US-amerikanischen Verwaltung. Auch private Unternehmen wie die Krankenversicherungsgesellschaft United Health Group oder die Investmentgesellschaft Goldmann Sachs, die sich offensichtlich der Regierung Donald Trumps andienen wollten, beendeten ihre „Diversity“-Programme. Französische und deutsche Organisationen, die ihre Geschäftsbeziehung mit den USA aufrechterhalten wollen, sollen, so fordern es die US-Botschaften in den Ländern, einen Nachweis darüber erbringen, dass sie ihre Programme für Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion eingestellt haben.

All dies war ein durchaus relevanter Teil der Wahlentscheidung vieler Menschen, die, wie Jennifer Piggott, als weiße US-Amerikaner mit den Härten des Lebens konfrontiert waren. Ihnen war es, so sagten sie immer wieder, wichtig, dass endlich Gerechtigkeit herrsche. Warum sollten sich die Ostküsten-Eliten ihre Taschen mit Steuergeldern vollstopfen, während die einfachen hart arbeitenden US-Amerikaner im Mittleren Westen kaum über die Runden kommen? Warum sollten weiterhin unqualifizierte Dummköpfe mithilfe von Diversity-Programmen in die höchsten Ämter der US-Verwaltung katapultiert werden, während man selbst mit Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Aushilfsjobs und dem Verlust der Krankenversicherung zu kämpfen hat? Vielleicht auch etwas einfacher: Warum sollen unqualifizierte Schwarze gegenüber qualifizierten Weißen bevorzugt werden?

Gute Frage eigentlich. 

Wie so häufig, wenn die Geschichte zu einfach, zu plausibel, zu glattgeschliffen scheint, sollte man aufhorchen und nachsehen, ob die kolportierte Erzählung überhaupt stimmt. Die Antwort ist beinahe komisch: Die Hauptprofiteure von „Diversity“-Programmen und Maßnahmen zur Steigerung von Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion sind: weiße Frauen. Sie sind es, mit denen Unternehmen besonders gerne Quoten erfüllen und Führungspositionen besetzen. Gefolgt von weißen Schwulen und Lesben. Gefolgt von weißen Behinderten. Gefolgt von weißen Veteranen. Irgendwo weiter hinten in der Liste profitieren auch Schwarze und Latinos.

Die größte wirtschaftswissenschaftliche Forschungseinrichtung in den USA, das National Bureau of Economic Research, kommt in einer groß angelegten Studie gar zu dem Ergebnis, dass asiatische Studierende aktiv diskriminiert werden, damit es genügend weiße Studierende auf die US-amerikanischen Spitzen-Universitäten schaffen. Ginge es nur um Leistung, würden die Weißen derart schlecht abschneiden, dass sich die Zusammensetzung der Studierendenschaft zugunsten der Asiaten verändern würde. 

Wie also kommt es, dass ausgerechnet Weiße Frauen und Männer, die überproportional von „Diversity“-Maßnahmen profitieren, einen Mann wählen, der im Wahlkampf verspricht, genau diese Programme abzuschaffen?

Gute Frage eigentlich. 

Die Antwort ist derart traurig, dass ich mich beinahe schwertue, sie aufzuschreiben. Die Komikerin Tanvi Jhansi Rajgarhia bringt es in einem Instagram-Video auf den Punkt. Weiße Frauen wussten bis zuletzt nicht, dass sie mitgemeint sind, wenn von Diversity-Programmen die Rede war. Sie dachten, dass die Wahl Donald Trumps in besonderem Maße die schwarze und lateinamerikanische Bevölkerung treffen würde. Nun aber spüren sie die Konsequenzen selbst und empfinden es als ungerecht. Weil sie weiß sind. Weil sie zu den Guten gehören. Weil sie es sind, die sich angesprochen fühlen, wenn von den „echten“ USA die Rede ist. Weil sie es immer schon waren, die in der Vergangenheit das Sagen hatten. Weil nur sie bei der Aussage „Make America Great Again“ an bessere Zeiten denken. Während die Schwarzen so unangenehme Dinge wie Rassentrennung, Sklaverei, Ku-Klux-Klan und Lynchmord vor Augen haben.

Die Bosheit der Weißen, die aus rassistischen Gründen ihre eigene Hegemonie einfordern und ein leistungsloses Vorankommen beanspruchen, während sie genau dies den Schwarzen und Latinos vorwerfen, ist derart hanebüchen, dass man ein ganzes Comedy-Programm daraus machen könnte. Die Dummheit der Rechten, die einen Milliardär ins Weiße Haus hieven, während sie selbst am Hungertuch nagen und ihre Familie nicht weiter versorgen können, wäre dessen Fortsetzung.

Der Hass auf die Anderen, die Schwarzen, die Lateinamerikaner, die Minderen, die Unteren kennt in den USA offenbar keine Grenzen. Weiße Frauen und Männer scheinen angesichts der Diskriminierung von Schwarzen bereit zu sein, ihre eigene Armut zu festigen, ihren Jobverlust in Kauf zu nehmen und ihre mühsam ersparte und vom Kapitalmarkt gedeckte Altersvorsorge zu pulverisieren.

Zahlreiche Ökonomen, Politikwissenschaftler und Journalisten haben bereits vor der Wahl alles genauso in beeindruckender Präszision vorhergesagt. Ehemalige Mitarbeiter von Donald Trump haben sich in ihren Warnungen vor Trump überschlagen. Geholfen hat alles nichts. Die Bosheit der Weißen und die Dummheit der Rechten war nicht zu überwinden. Lieber der unqualifizierte weiße Mann als die qualifizierte schwarze Frau. Sagen wir mal so: Mein Mitleid mit den Wählerinnen und Wählern Donald Trumps hält sich in Grenzen.

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