TV-Kritik: Merz bei Miosga: „Ich weigere mich im Augenblick, diese Frage zu stellen“

Souverän, spitz, sachkundig: Caren Miosga gelingt ein bemerkenswertes Interview mit dem CDU-Chef Friedrich Merz. Der laviert in ihrer ARD-Talksendung – und legt sich dennoch fest.

„Ist Markus Söder manchmal für Sie wie der peinliche Onkel am Kaffeetisch?“ fragt Caren Miosga den voraussichtlich nächsten Bundeskanzler Friedrich Merz am Sonntagabend in ihrer Talksendung. Davor hatte sie ein Video gezeigt: Söder, feixend und witzelnd bei der Vorstellung des Koalitionspapiers. Merz antwortet, ohne zu zögern: „Nein“. Die Stichelei der Moderatorin wischt er zur Seite, Söder habe nun mal eine eigene Humorform. Wobei man sagen muss: Auch die Person neben dem peinlichen Onkel am Kaffeetisch hat ihren ganz eigenen Humor. 

Auch Miosga und Merz haben eine ganz eigene Form von Humor in dieser Sendung. Aber zunächst nimmt Miosga den designierten Kanzler mit auf eine Dreiviertelstunde Innenpolitik. Miosga wirkt unglaublich gut vorbereitet, bringt Merz immer wieder dazu, konkret zu antworten – oder herumzudrucksen.

Sie spricht ihn auf seine schlechten Umfrageergebnisse an. Er sagt, er schaue nicht jeden Tag darauf, aber wenn die noch in einem Jahr so schlecht sind, werde er anfangen sich Gedanken zu machen. Merz betont: Die Koalitionsverhandlungen waren eine Kraftanstrengung, „130, 140 Seiten Text in 4 Wochen, das schreiben sie nicht einfach so.“

Friedrich Merz will Asylbewerberzahl unter 100.000 drücken

Miosga bleibt beim Thema Migration hartnäckig, versucht ihn festzunageln: Wie soll das funktionieren? Merz laviert. Wie viele Menschen kann Deutschland aufnehmen? Merz laviert, Miosga hakt fest, nagelt Merz fest: Wie groß darf diese Zahl denn sein? Der antwortet: „Nageln Sie mich nicht fest. Sie darf nicht sechsstellig sein.“ Also unter 100.000 Asylanträge im Jahr.

Weiter geht es mit Steuerreform, Wirtschaftswachstum, Zollpolitik, Rente. Der gesamte Koalitionsvertrag stehe unter Finanzierungsvorbehalt, es kommen also nur Maßnahmen, wenn der Staat sie sich leisten kann. Miosga fragt: „Kann es sein, dass am Ende der Legislaturperiode die Leute weniger im Geldbeutel haben?“ Merz antwortet, er wolle nichts versprechen, was er nicht halten könne oder wolle. „Lieber mit Bescheidenheit starten.“

Die Moderatorin bringt Merz sogar dazu, sich festzulegen: „Können homosexuelle Ehepaare unter einem Kanzler Merz damit rechnen, beim Adoptionsrecht gleichgestellt zu werden?“ fragt sie. Merz antwortet: „Ja.“

Nach 45 Minuten Innenpolitik in jeglicher Façon kommt Miosga dann zu einem nicht weniger wichtigen Thema: „Wir müssen über die USA reden“ Merz feixt, im Stillen habe er sich gefragt, ob „wir da noch hinkommen.“ 

Auf (k)eine Golfpartie mit Donald Trump

Angesprochen auf die erratische Zollpolitik: „Zunächst einmal müssen wir unsere eigenen Interessen wahrnehmen“ sagt Merz, und damit meint er die Interessen der EU. Er stimme sich mit der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni ab, ist mit Emmanuel Macron im Austausch. Und will vor den Sommerferien selbst nach Washington fliegen, um dort mit Trump zu sprechen.

„Spielen Sie auch mit ihm Golf?“ fragt Miosga. Das kann Merz noch nicht sagen. Trump sage, er habe ein Handicap von 2,8 – „Was ist Ihres?“ Merz ziert sich, das zu beantworten. „Das ist nicht für die Öffentlichkeit. “ 

Auch über die Ukraine will er mit Donald Trump sprechen. In der töteten russische Raketen am Sonntag mehr als 30 Zivilisten. Darauf angesprochen nennt Merz diese Attacke ein „schwerstes Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung.“ Miosga hakt nach: „Dann bringt Verhandeln gar nichts?“ Merz: Viktor Orban „war in Moskau und drei Tage später ist in Kiew ein Kinderkrankenhaus bombardiert worden.“ Offensichtlich sehe Putin, so der CDU-Chef, unser Angebot zu reden als Schwäche. Die ukrainische Armee müsse aus der Defensive heraus, „vor die Lage kommen“ und deshalb müsse Deutschland sich auch – nach Absprache mit den europäischen Partnern – an Marschflugkörperlieferungen beteiligen. Also den Taurus liefern.

Merz stellt Ukraine Lieferung von Taurus in Aussicht

Gegen Ende der Sendung holt Merz weit aus: „Pathos, das gesunde Nationalbewusstsein, Patriotismus zu zeigen, das muss doch auch in Deutschland möglich sein?“ Applaus im Studio. Miosga: „Also Rambo-Zambo?“ Merz geht gar nicht mehr auf sie ein. „Wir sind ein großartiges Land“ und ohne Optimismus könnte er gar nicht als Bundeskanzler arbeiten. Das ganz große Besteck.

Zum Schluss stellt Miosga Merz eine Frage, mit der er sicher nicht gerechnet hat. Als der leidenschaftliche Privatpilot antwortet, hat er die Arme verschränkt. „Ich weigere mich im Augenblick, diese Frage zu stellen“, sagt er und grinst dabei wie einer, der sich gerade aus der Affäre gezogen hat. Miosga hatte ihn kurz darauf hingewiesen: Dürfe er denn als Bundeskanzler noch selbst mit dem Flugzeug fliegen? „Sie müssen ja, um die Lizenz zu behalten, bestimmte Stunden fliegen“, wirft die Moderatorin ein. Darauf Merz: „Seit gestern habe ich sie wieder für ein Jahr, und jetzt schauen wir mal, was ich noch darf.“

Ein Abend, an dem das Publikum von der Renten- über die Steuerreform, von Pathos bis Detailwissen alles bekommen hat. Vor allem Miosga hat eine richtig gute Figur gemacht, war präsent und hatte immer die richtige Zahl, den Fakt, das Zitat zur Hand. 

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