Fotografie: Der Sound einer Ära: Die Geschichte von Atlantic Records

Das Plattenlabel Atlantic Records hat legendäre Stars und Aufnahmen hervorgebracht. Und die Musik spielt immer noch.

Schön, nach sehr langer Zeit mal wieder das Wort Schallplatte schreiben zu können. Und Plattenspieler. Und wenn wir schon dabei sind: Diamant oder Saphir? Gab Vor- und Nachteile für beide. Gemeint ist die kleine Abtastnadel, die man in die Rille der Schallplatte senkte, aus der sie dann bei 33 Umdrehungen pro Minute „Stairway to Heaven“ von Led Zeppelin oder, für die Älteren, „Satellite“ von Coltrane zu Tönen machte. So war das mal (und ist es jetzt ja wieder, einem unwahrscheinlichen Vinylrevival gedankt), und wer sich an die Zeiten vor der CD noch erinnert, weiß auch die Farben der Marken, also der Labels in der Plattenmitte. Rot war Polydor, Grausilber Ariola – und wollte man cool sein, galt es davon wenig zu besitzen, das meiste waren Schlager. Angesagt, manche sagten „Pflicht“, war dagegen das grün-orangefarbene Label mit dem Buchstaben „A“ und dem kleinen Wirbel auf lila Grund: Atlantic Records.

Eigentlich konnte es einem egal sein, von welcher Firma die Platten kamen, es ging doch um Song und Künstler. Sollte man meinen. Aber in den 70er- und 80er-Jahren war der Name Atlantic eben mehr: ein Versprechen, eine Verheißung. Und ein Gütesiegel. Denn diese Leute da im fernen New York, wo Atlantic seine Studios hatte, waren kein Konzern, sondern Menschen mit Instinkten dafür, welche Musik weit vorn war und von der Zeit erzählte, in der man lebte. Ja, man ging selbst in der deutschen Provinz in den Plattenladen seines Vertrauens, um zu fragen, was Atlantic denn Neues hatte. Oder wo sie dabei waren. Woodstock 1969 zum Beispiel, das Konzert auf Platte, ein Dreier-Album, kam Anfang der Siebziger heraus, natürlich bei Atlantic. Und wer sich als Teenager in der etwas speziellen Nische des Jazz herumtrieb und schon früh Keith Jarrett hörte oder Eltern hatte, die auf Partys den sagenhaften Bobby Darin spielten – alles von Atlantic!

Atlantic Records: Es ging um den Sound

Es waren aber nicht nur diese Stars und ihre Songs, es war auch die Art, wie die Musik aus den Lautsprechern der Stereoanlage kam. Voller, satter und so, als ob Aretha Franklin oder Phil Collins persönlich im Wohnzimmer auftreten würden. „Von Anfang an machte Atlantic Platten, bei denen es nicht nur um den Künstler oder einen Song ging, sondern um den Sound“, hat der Popstar Bruno Mars, freilich kein Kind jener Zeit, gesagt. Um seine Einlassung aber zu verstehen, muss man zurückkehren zur Entstehung dieser Plattenfirma.

Am letzten Tag des Jahres 1947 gründeten in New York Ahmet Ertegun, Sohn eines türkischen Diplomaten, aufgewachsen in Washington, mit Herb Abramson und dessen Frau Miriam die Firma Atlantic, da sie selbst Schallplatten produzieren wollten, die es auf dem Markt noch nicht gab. Die beiden Männer waren leidenschaftliche Sammler von Jazzplatten, die es bisher nur von kleinen Labels gab und damals „Race Music“ genannt wurden. Ertegun hatte von seinem Zahnarzt 10.000 Dollar geliehen. Der war zu der Investition wohl auch deshalb bereit gewesen, weil sein Patient glaubhaft argumentierte, dem Plattenmarkt stünde eine neue Ära bevor. Und Abramson hatte Erfahrung als Labelbetreiber bei Jubilee. Er verkaufte seine Anteile und steuerte 2500 Dollar zum Startkapital bei.

Die bis dato üblichen Schellackplatten, hart, leicht zerbrechlich, von grober Klangqualität, wurden gerade vom neuen Kunststoff Vinyl abgelöst. Die feineren Rillen verbesserten den Klang, die 180 Gramm leichten Scheiben galten als „unbreakable“. Parallel setzte sich in der Industrie das LP- und Single-Format mit den Geschwindigkeiten 33 1/3 und 45 Umdrehungen pro Minute durch, was den Verkauf von Plattenspielern und Jukeboxen ankurbelte. Ertegun und Abramson wussten, dass es unter schwarzen, aber auch weißen Amerikanern eine große Sehnsucht gab, Jazz oder Rhythm and Blues zu hören, der selten oder nie im Radio gespielt wurde. Ihr Ziel: diese Musik nicht nur häufiger, sondern auch besser hörbar zu machen. Der Atlantic-Sound sollte einzigartig sein. Dafür kauften die Gründer 1958 als erstes Plattenstudio weltweit ein neues Acht-Spur-Ampex-Stereo-Aufnahmegerät, das die bis dahin gängige Audiotechnik revolutionierte.

Ertegun wiederum fühlte sich vor allem für die Künstler zuständig. Ständig zog er durch Jazzkeller und Konzerthallen, um Talente zu finden, und gab ihnen alle kreativen Freiheiten. Ray Charles erinnerte sich einmal: „Ich war ein 22-jähriger Junge, hatte ein paar Platten gemacht, die sich wenig verkauften, ich hatte keinen großen Namen. Und dann kamen diese Atlantic-Leute und ließen mich machen, was immer ich wollte. Ich wusste noch nicht einmal, was ein Produzent ist, und sie sagten: Dann produzier doch deine Sachen selbst.“

Eine andere Legende besagt, wie Ertegun 1966 zu Ehren von Wilson Pickett in einen Club in London einlud. Während der Party hörte er jemanden im Hinterzimmer Gitarre spielen und dachte, das müsse B. B. King sein. Doch der Mann war schmächtig, blass und spielte in einer Band, die kaum jemand kannte. So also kamen Eric Clapton und die Band Cream zu Atlantic.

Und ganz ähnlich Led Zeppelin, Crosby, Stills, Nash and Young, Genesis und Phil Collins und AC/DC. Es war Erteguns Instinkt, das ehemalige Jazzlabel Atlantic zügig auch zu einer Heimat für Rock, Pop und später auch Disco auszuweiten.

Doch die Konkurrenz schlief nicht. Mitte der 60er-Jahre sanken erstmals die Verkaufszahlen von Atlantic-Platten, der Markt wurde enger, die Macht der großen Musikkonzerne größer. Um Atlantic am Leben zu halten, verkauften die Gründer die Firma 1967 für 17 Millionen Dollar an den Warner-Brothers-Konzern, behielten sich aber die Leitung und Auswahl der Künstler vor. 1971 gelang es Ertegun nach langen Verhandlungen mit Mick Jagger, die Rolling Stones zu Atlantic zu lotsen, wo sie bis Anfang der Achtziger blieben. Und die Stones sollten dann auch die letzte Band sein, der Ertegun lauschte. 2006 besuchte er, 83-jährig, in New York ihr „Shine A Light“-Konzert, stürzte dabei auf einer Treppe und starb später an seinen Kopfverletzungen. Martin Scorseses monumentaler Film über jenes Konzert ist Ertegun gewidmet.

„75 Years of Atlantic Records“, Taschen-Verlag, 462 Seiten, 150 Euro

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