Ein altes EU-Abkommen mit Kanada zwingt Europas Whisky-Brenner, das Wort „Rye“ zu streichen. Die Hersteller reagieren trotz allem Unverständnis mit Kreativität.
Stellen Sie sich vor, Sie backen einen herrlichen Apfelkuchen, aber ab morgen dürfen Sie das Wort „Apfel“ nicht mehr darauf schreiben – obwohl er randvoll mit Äpfeln ist. Klingt absurd? Genau das passiert gerade in der europäischen Whisky-Welt, wo eine vergessene Regelung plötzlich für Aufruhr sorgt.
In den gemütlichen Brennereien vom finnischen Lappland bis zur österreichischen Grenze werden seit Jahren hervorragende Roggen-Whiskys gebrannt. Doch nun ist ein lange in Vergessenheit geratenes Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada aus dem Jahr 2003 plötzlich aus seinem Dornröschenschlaf erwacht.
Damals wollte die EU Begriffe wie Champagner oder Ouzo schützen. Im Gegenzug sicherte man Kanada die Exklusivrechte an der Bezeichnung „Rye Whisky“ zu. Schließlich gab es diesseits des Atlantiks keine nennenswerten Whiskybrenner, die auf Roggenbasis arbeiteten. Und so interessierte diese Regelung mehr als 20 Jahre niemanden – bis jetzt.
Kanadischer Rye Whisky muss keinen Roggen enthalten
Die Komik dieser Geschichte liegt im Detail: „Entgegen dem entsprechenden Namen muss kanadischer ‚Rye Whisky‘ überhaupt keinen Roggen enthalten“, sagt Bastian Heuser von der deutschen Brennerei Stork. Auf einem Etikett darf dort also „Rye Whisky“ prangen, auch wenn kein einziges Roggenkorn bei der Herstellung zum Einsatz kam.
Europäische Rye-Whisky-Produzenten verwenden hingegen einen erheblichen Anteil an Roggen (mindestens 51 Prozent), manche nutzen sogar ausschließlich dieses Getreide. „Aber wir sind diejenigen, die jetzt nicht mehr von Rye Whisky sprechen sollen“, so Heuser.
Ausgerechnet in einer Zeit, in der Transparenz und ehrliche Produktkennzeichnung in aller Munde sind, werden Hersteller nun gezwungen, zu verschleiern, was tatsächlich in ihren Flaschen steckt. „Wir sind natürlich sehr frustriert, dass die EU beim Abschluss dieses Abkommens einen großen Fehler gemacht hat“, sagt Alex Munch von der dänischen Destillerie Stauning.
Und er fährt fort: „Roggen ist ein Rohstoff, der in mehreren Ländern zur Herstellung von Whisky verwendet wird, und sollte in der EU nicht als Marke geschützt werden. Die Verwendung des Rohstoffs zu schützen, ist in etwa so, als würde man sagen, dass man außerhalb Frankreichs das Wort ‚Traube‘ oder ‚Wein‘ nicht in seiner Produktbeschreibung verwenden darf.“
Die Geschichte wird noch skurriler, wenn man bedenkt, dass Roggen in Europa seit Jahrtausenden angebaut wird – europäische Einwanderer brachten ihn überhaupt erst nach Nordamerika.
Für die Brenner ist die Sache nun kompliziert: Während sie in Europa nun nicht mehr „Rye“ auf das Etikett schreiben dürfen, müssen in den USA dagegen zwingend die Worte „Rye Whiskey“ darauf stehen. Heißt: Ein in der EU regelkonform etikettierter Whisky wäre in den USA gar nicht verkehrsfähig. Europäische Brenner stecken damit in einer rechtlichen Zwickmühle.
Brenner reagieren mit Humor und stillem Protest
Die Öffentlichkeit erfuhr von diesem Schlamassel erst, als in Finnland und Dänemark die ersten Abmahnungen bei Herstellern eintrafen, obwohl anscheinend keine Durchsetzungsanforderungen von der kanadischen Regierung vorlagen. Im deutschsprachigen Raum ist der Hammer noch nicht gefallen, doch die Brenner bereiten sich bereits auf das Schlimmste vor.
Zum Glück gibt es einen Silberstreif am Horizont: Das Ceta-Handelsabkommen wird 2026 neu verhandelt, und ein Artikel darin erlaubt Ausnahmen, wenn Verbraucher durch die Regelung in die Irre geführt würden – was bei einem roggenfreien „Rye Whisky“ durchaus der Fall sein könnte.
Bis dahin reagieren die betroffenen Destillerien mit einer Mischung aus Humor und stillem Protest. Stauning hat eine „Censored Edition“ herausgebracht, mit durchgestrichenem „Rye“-Aufdruck. Andere setzen auf kreative Umgehungslösungen wie „Made from 100 % Rye“ anstelle von „Rye Whisky“.
Für Genießer heißt das: Probieren Sie diese europäischen Roggen-Schätze, bevor sie in „Whisky aus einer Getreideart, die wir nicht nennen dürfen“ umbenannt werden müssen.
Vier europäische Roggen-Whiskys, die Sie unbedingt kosten sollten
1. Stork Club Straight Rye Whiskey (Deutschland)
Mitten in der brandenburgischen Tiefebene, wo Berlin nur noch ein ferner Lichtschein am Horizont ist, hat sich eine Handvoll Whisky-Enthusiasten zusammengefunden, um etwas zu schaffen, das in Deutschland Seltenheitscharakter hatte: ein Whisky aus 100 Prozent deutschem Roggen. Das Ergebnis ist ein Destillat mit robustem Charakter, das die Tradition des amerikanischen Rye mit deutscher Präzision neu interpretiert.
Auf der Zunge finden sich zunächst Gewürze – Zimt, Nelken, schwarzer Pfeffer –, gefolgt von einer angenehmen Süße, die an Karamellbonbons, Kakao und Vanillekipferl erinnert. Im Abgang zeigt sich dann die Seele des Roggens: erdige Noten, die an frisches Roggenbrot erinnern, verbunden mit einer angenehmen Schärfe des Alkohols.
Anders als viele seiner amerikanischen Verwandten ist der Stork Club weniger süß, dafür präziser und klarer – typisch deutsch eben, aber ohne steif zu wirken.
2. Stauning Rye (Dänemark)
An der rauen Westküste Dänemarks entsteht ein Whisky, der nordische Klarheit mit Komplexität verbindet. In direkt befeuerten Kupferbrennblasen destilliert, entwickelt dieser Rye einen vielschichtigen Charakter mit pfeffrigen Noten und Aromen von karamellisierten Nüssen. 60 Euro kostet die Flasche. Das ist kein Schnäppchen, klar. Aber in Kopenhagen bekommt man dafür gefühlt ein lauwarmes Mittagessen und ein müdes Lächeln. Hier kriegt man ein Stück Dänemark direkt in der Flasche.
Bleibt nur die Frage: Wie genießt man den Whisky am besten? Die Dänen sind da erfrischend unprätentiös. Neat, on the rocks, als Cocktail – Hauptsache, er landet im Glas und nicht auf dem Hemd. Eine Einstellung, die man sich für vieles im Leben wünschen würde. Vermutlich würden die Dänen sogar nicken, wenn man ihren edlen Tropfen mit Cola mischen würde. Obwohl, lassen wir das lieber.
3. Kyrö Malt Rye (Finnland)
Die Geschichte des Kyrö Rye Whisky beginnt, wie könnte es anders sein, in einer finnischen Sauna. Fünf Freunde, angetrunken von gutem Whisky und der Hitze, beschlossen 2012, einen authentisch finnischen Whisky zu schaffen. Nicht irgendeinen, sondern einen aus 100 Prozent Roggenmalz – dem Getreide, das in Finnland seit Jahrhunderten das tägliche Brot liefert.
Was wie eine Schnapsidee begann, entwickelte sich zu einer der spannendsten Destillerien Nordeuropas. In einer ehemaligen Molkerei im winzigen Dorf Isokyrö, umgeben von endlosen Roggenfeldern, entsteht ein Whisky, der so finnisch ist wie Midsommar und Eisbaden.
Ein erster Schluck offenbart intensive Getreidenoten, fast brotartig, gefolgt von einer überraschenden Honig- und Marzipanaromatik. Der Abgang ist lang, würzig und hinterlässt eine wärmende Präsenz – wie ein guter Saunagang an einem eiskalten finnischen Wintertag.
Wer es wilder mag: Bei der Variante namens „Wood Smoke“ wird der Roggen nach einem alten finnischen Brauch in einer alten Scheune mit Erlenrauch geräuchert. Die Abfüllung erfolgt nach drei Jahren Lagerung mit 47,2 Volumenprozent. Ein Whisky für Menschen, die Authentizität schätzen und bereit sind, neue Geschmackswelten zu entdecken.
4. Freimeisterkollektiv Dark Rye Malt Whisky 608
In den idyllischen Landschaften Österreichs wird auch hervorragender Roggenwhisky produziert. 1995 begann das traditionsreiche Familienunternehmen J.Haider in Roggenreith mit der Destillation von edlen Tropfen und präsentierte nur drei Jahre später sein Meisterwerk: den Waldviertler Whisky J.H – der erste seiner Art in Österreich. An der Spitze des Unternehmens steht seit 2016 Jasmin Haider-Stadler, Präsidentin der Austrian Whisky Association, gemeinsam mit ihrer Mutter Monika.
Die Waldviertler Region erzeugt über 50 Prozent des gesamten Roggens in Österreich. Das verwendete Roggenmalz wird in der Region dunkel geröstet, und die Maische findet ihren Weg durch eine kupferne Pot Still. Nach der Destillation verbringt der Roggenwhisky fünf Jahre in einem Trockenbeerenauslesefass aus Manhartsberger Sommereiche.
Das geröstete Malz verleiht ihm Aromen, die an Zerealien und kandierte Orange erinnern, während die Süßweinfass-Reifung mit feinen Sirup- und Fruchtaromen überrascht. In der Nase entfalten sich elegante Vanillenoten und eine schöne Malzigkeit.