Seit Corona verschwinden Kinderspiele vielerorts aus dem öffentlichen Raum. Der Künstler Francis Alys reist deshalb um die Welt und filmt, wie Kinder spielen. Die Ergebnisse sind frappierend.
Eine Straße mit ausgebrannten Autos und zerbombten Gebäuden in Mossul im Norden des Iraks. Tage zuvor ist die Stadt von der Herrschaft der Terrormiliz IS befreit worden. Zweieinhalb Jahre war jede Art von Ballspiel verboten. Doch die Jugend der Stadt hat auf kreative Weise darauf reagiert: Auch an diesem Abend trifft sie sich noch einmal zum „Haram Fußball“ – mit einem unsichtbaren Ball. Dribblings und Ausweichmanöver, Sprünge und Kopfbälle – alles ist mit drin, nur der Ball existiert lediglich in der Vorstellung der Kinder und Jugendlichen. Aber nicht ein einziges Mal gibt es Streit darum, wer gerade im Ballbesitz ist. Ein faszinierendes Schauspiel, festgehalten von dem belgischen Künstler Francis Alys.
In der Ukraine spielen die Kinder „Luftalarm“
Der renommierte Fotograf, Maler, Video- und Installationskünstler, der große Ausstellungen unter anderem in der Tate Modern in London und im MoMA in New York gehabt hat, dokumentiert seit 25 Jahren Kinderspiele aus unterschiedlichsten Regionen der Welt. Von Samstag an ist eine große Ausstellung mit seinen Arbeiten im Museum Ludwig in Köln zu sehen – „Kids Take Over“.
Eines der spektakulärsten Videos zeigt einen Jungen, der im Kongo einen Reifen mühsam auf die Halde einer Kobaltmine rollt und dann in akrobatischer Manier in dem Reifen nach unten saust. In der Ukraine hat sich seit Beginn des russischen Angriffskriegs das Spiel „Luftalarm“ verbreitet – dabei geht es darum, das Heulen der Sirenen so täuschend wie möglich zu imitieren. Unweit der Frontlinie spielen Kinder währenddessen mit Holzgewehren eine Verkehrspatrouille nach. Sie halten Autofahrer an und fordern sie auf, ein Passwort zu nennen: „Palyanitsya“, der Name eines traditionellen ukrainischen Brotes, den Russen nicht richtig aussprechen können.
Spiele verschwinden schnell aus dem öffentlichen Raum
Seinen Aufenthalt in Köln hat Alys gleich dafür genutzt, sein 50. Kinderspiel zu dokumentieren: Schatten-Fangen. Zum Glück schien die ganze Zeit die Sonne. „Ich halte es für wichtig, das festzuhalten, weil Kinderspiele insbesondere aus dem öffentlichen Raum schnell verschwinden“, sagte Alys der Deutschen Presse-Agentur. Die Corona-Pandemie habe den Rückzug in die eigenen vier Wände beschleunigt, dazu komme, dass mehr und mehr Eltern Angst davor hätten, ihre Kinder unbeaufsichtigt draußen spielen zu lassen. „Die Freiheit, die ich hatte, ist nichts verglichen zu dem Spielraum meiner Kinder“, sagte Alys, der in Mexiko-Stadt lebt.
Beim Zusammenwirken mit Kindern hat er vor allem gelernt, dass man das Spiel ernst nehmen und sich richtig hineinvertiefen muss. Wenn das der Fall sei, öffneten sich die Kinder schnell und seien oft auch stolz darauf, ihre Spiele und ihre Fähigkeiten vorführen zu können.