In Mainz werden Tempo-30-Schilder abgeschraubt oder mit Plastiksäcken verhängt. Nur vorübergehend, zumindest wenn es nach dem Willen der Verkehrsdezernentin geht.
Das vor rund fünf Jahren eingeführte Tempo 30 auf der Rheinachse und einer Hauptverkehrsachse in der Mainzer Innenstadt ist zumindest vorerst passé. Die Schilder seien abgehängt oder verhüllt und damit eine Entscheidung des Rechtsausschusses der Landeshauptstadt umgesetzt worden, erläuterte ein Sprecher der Stadt. Die Deutsche Umwelthilfe sieht einen Verstoß gegen den Luftreinhalteplan und prüft rechtliche Schritte.
Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) will die Geschwindigkeitsbegrenzung auf den betroffenen Straßen möglichst bald wieder einführen – auf einer anderen Rechtsgrundlage. Ein Überblick.
Was ist die Rolle des Rechtsausschusses?
Die Stadt habe diesen Ausschuss als eine Vorinstanz vor dem Klageweg vor den Gerichten eingeführt, um Beschwerden von Bürgern zu prüfen, erläuterte der Stadtsprecher. Die Stadt halte sich dann auch an die Entscheidungen des bei ihr angestellten Richters. Diese Instanz ermögliche es vielen Bürgen, Streitfälle zu klären, ohne einen mitunter kostspieligen und langwierigen Klageweg bestreiten zu müssen.
Was hat der Ausschuss zu Tempo 30 entschieden?
Verhandelt wurde über die Beschwerde eines Bürgers von 2021. Dieser hatte sich darauf berufen, dass an den Messstellen auf der Rheinachse und an der großen innerstädtischen Kaiserstraße die Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) bereits deutlich unterschritten würden. Tempo 30 sei daher nach seiner Auffassung auf diesen Straßenabschnitten nicht mehr notwendig. Der Richter im Rechtsausschuss sei dieser Auffassung gefolgt, berichtete der Stadtsprecher. Als Begründung habe der Luftreinhalteplan gedient.
Was kritisiert die Deutsche Umwelthilfe?
Tempo 30 sei im gültigen Lärmaktionsplan und auch durch einen gerichtlichen Vergleich zwischen der Stadt Mainz und der Deutschen Umwelthilfe verankert. „Daher werden wir rechtliche Schritte gegen die Aussetzung von Tempo 30 prüfen“, kündigte der stellvertretende Bereichsleiter Verkehr und Luftreinhaltung, Robin Kulpa an.
Die Umwelthilfe fordert die Stadt Mainz auch auf, alle Rechtsmittel gegen diese Entscheidung des Stadtrechtsausschusses zu prüfen und für eine Beibehaltung der Tempo-30-Schilder zu sorgen.
Die Entscheidung des Rechtsausschusses der Stadt ist in den Augen der Umwelthilfe „ein Verstoß gegen den Luftreinhalteplan“. Rechtskräftige Gerichtsentscheidungen wie vom Verwaltungsgericht Berlin zeigten, dass Tempo 30 nicht einfach so aufgehoben werden könne, solange der Luftreinhalteplan nicht geändert sei.
„Tempo 30 in Mainz ist das Ergebnis unserer Klagen auf saubere Luft und eine absolute Erfolgsgeschichte“, sagt Kulpa. „Die Luftqualität hat sich deutlich verbessert, die Zahl der Verkehrsunfälle hat sich stark reduziert und die Lärmbelastung ist gesunken.“
Wie argumentiert Umweltdezernentin Steinkrüger?
Die absehbar strengeren EU-Grenzwerte zur Luftqualität, die 2030 in Kraft treten, seien ein Grund, in der Verbesserung der Luftqualität zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung jetzt nicht nachzulassen. Dann gelten im Jahresdurchschnitt 20 statt bisher 40 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft.
Die Verwaltung werde bei der übergeordneten Landesbehörde, dem Landesbetrieb Mobilität (LBM), die Erlaubnis für eine straßenverkehrsbehördliche Anordnung von Tempo 30 auf Grundlage der Straßenverkehrsordnung beantragen. Diese lasse die Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen auch zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm zu. Der LBM konnte zunächst nicht sagen, ob der Antrag bereits eingegangen ist und wann darüber entschieden wird.
Tempo 30 sei auch aus Lärmschutzgründen notwendig, argumentiert Steinkrüger. Zugleich verlängere sich die Fahrzeit nur minimal, um etwa zwei Sekunden pro 100 Meter. „Wir sind davon überzeugt, dass Tempo 30 auch weiterhin auf den Hauptachsen der Mainzer Innenstadt die Luftqualität verbessert, die Sicherheit – vor allem auch jene der Schulwege – erhöht und die allgemeine Lebensqualität innerhalb der Innenstadt steigert.“ Dazu komme die positive Rückmeldung der Anwohner in den betroffenen Tempo-30-Straßen.
Was sagt das Umweltministerium?
„Grundsätzlich gilt: Tempo 30 in Mainz ist eine Erfolgsgeschichte“, heißt es auch im Umweltministerium. „Die Luft ist reiner geworden. Der Lärm wurde reduziert. Fahren ist sicherer. Und die Bürgerinnen und Bürger gewinnen an Lebensqualität.“
Für die Aufstellung eines Lärmaktionsplans sei die Stadt zuständig. Darin würden Maßnahmen vorgeschlagen, mit denen die Bevölkerung von Umgebungslärm entlastet werden könne. Dazu könnten Geschwindigkeitsbegrenzungen zählen. Deren straßenverkehrsrechtliche Voraussetzungen würden durch vertiefende Gutachten geprüft. Die Stadt habe angekündigt, dem Ministerium ein entsprechendes Gutachten vorzulegen.