Presseschau: „Dieser Koalitionsvertrag ist maximal ein Neustart light“

Nun ist er also da, der Koalitionsvertrag von Union und SPD. Während Friedrich Merz Großes verspricht, fallen die Reaktionen der Presse auf das Papier skeptisch aus.

„Verantwortung für Deutschland“ – diesen Titel trägt der Koalitionsvertrag, auf den sich Union und SPD in schwierigen Verhandlungen geeinigt haben. 144 Seiten ist das Papier dick. 

CDU-Chef Friedrich Merz, der designierte Kanzler, sprach bei der Vorstellung von einem „Aufbruchssignal“. „Die politische Mitte unseres Landes ist in der Lage, die Probleme zu lösen“, so Merz. „Die künftige Koalition wird reformieren und investieren, um Deutschland stabil zu halten, sicherer zu machen und wirtschaftlich wieder stärker zu machen – und auch Europa kann sich auf Deutschland verlassen.“ Die Presse hingegen beurteilt den Koalitionsvertrag deutlich skeptischer.

So sieht die Presse den Koalitionsvertrag von Union und SPD

„Stuttgarter Nachrichten“: „In Sachen Verteidigung hat CDU-Chef Friedrich Merz im Februar vor globalem Publikum Führung versprochen. Gemessen daran hält sich der Ehrgeiz von Schwarz und Rot, soweit ihn der Koalitionsvertrag spiegelt, in erstaunlich engen Grenzen. Zu einer halbwegs auskömmlichen Finanzierung der Verteidigungsfähigkeit rafften sich CDU, CSU und SPD schon im Vorfeld nur im Zusammenhang mit sachfremden Riesen-Schuldenprogrammen auf, die vor allem die Landesregierungen und die Grünen freuen. Einen Weg, auf dem die Bundeswehr innerhalb weniger Jahre die für die Landesverteidigung notwendige Personalreserve aufbauen kann, weist dieser Koalitionsvertrag allenfalls ungefähr. Wie deutsche Führung für Europas Sicherheit aussehen soll – da bleibt er vage.“

„T-Online“: „Dieser Koalitionsvertrag ist maximal ein Neustart light, jedoch kaum ein großer Wurf. Das liegt vor allem daran, dass sich die Unionsparteien an vielen entscheidenden Stellen kaum gegen die deutlich schwächere SPD haben durchsetzen können. Der so nötige große Impuls für die Konjunktur geht von diesem Koalitionsvertrag daher kaum aus. Dass Deutschland die Rezession wird hinter sich lassen können, ist kaum zu erwarten. Positiv am Vertragswerk bleibt derweil nur eines: Das Bekenntnis zu einer Stärkung der Bundeswehr sowie das Milliardenpaket zur Modernisierung des Landes und der Infrastruktur. Dieses viele Geld muss Schwarz-Rot nun schnellstmöglich auf die Straße bringen.“

„Nürnberger Nachrichten“: „Diese Koalition muss führen, sie muss mit einer Stimme auftreten, sie muss auch mit Taten für Aufbruch sorgen in einem Land, das seine Stärken vernachlässigt und auch schlechtgeredet hat. Wer die Vorhaben durchliest, der sieht ein solides, sinnvolles, aber gewiss nicht sensationelles Vertragswerk. Eines ist dieser Koalitionsvertrag gewiss nicht: eine Politik-Wende, wie sie vor allem die Unionsparteien im Wahlkampf versprochen hatten.“

„Frankfurter Allgemeine Zeitung“: „Union und SPD haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt, der, wie könnte es anders sein, ein Kompromissvertrag geworden ist. (…) Das ist eine gute Nachricht in einer Zeit, in der der Wohlstand und die Sicherheit Deutschlands so gefährdet werden wie seit dem Krieg nicht mehr, weil nun sogar der mächtigste Verbündete eine Politik verfolgt, die man nur als verrückt bezeichnen kann. (…) Ob die Steuerentlastungen für Unternehmen, die Senkung der Strompreise und die Befreiung vom nationalen Lieferkettengesetz ausreichen, um beim Wachstum wieder in die schwarzen Zahlen zu kommen, muss sich allerdings erst noch zeigen. Trump und Xi geben ihr Bestes, um sie weltweit ins Minus zu drücken. Nicht weniger hart wird die Bewährungsprobe sein, die die schwarz-rote Koalition in der Migrationspolitik zu bestehen hat.“

„Handelsblatt“: „Haben die Verhandler von Union und SPD den Ernst der Lage wirklich verstanden? Ja, das Paket für die Wirtschaft stimmt, auch wenn man sich vielleicht noch viel mehr gewünscht hätte. (…) Die Wirtschaft hatte Punkte adressiert: sinkende Energiepreise – die es nun gibt. Bürokratieabbau und Fachkräftemangel. Steuerliche Entlastungen standen nie im Vordergrund, wenn es um die Wünsche der Unternehmen ging. Ein wirklicher Big Bang ist nun die Abschaffung des deutschen Lieferkettengesetzes. Die Berichtspflicht nach dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ‚wird unmittelbar abgeschafft und entfällt komplett‘, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Auch die Arbeitszeiterfassung wird entschärft.“

„Rhein-Neckar-Zeitung“: „Papier ist geduldig. Die Menschen sind es nicht. Und so stellt sich die Frage, ob dieser Koalitionsvertrag, den gestern die Parteichefs von Union und SPD mit durchaus mit Stolz vorstellen, das Potenzial hat, das Land aus der Krise zu führen. Die Antwort lautet eindeutig: Ja. Das Papier setzt einerseits Aufbruchsignale und hegt zugleich alte Fehler ein. Die schwarz-rote Koalition setzt mit ihrem Steuerkonzept Investitionsanreize, die mittelfristig Wirkung entfalten werden. Zugleich winkt sie mit Steuersenkungen am Horizont des Machbaren. In Sachen Bürgergeld wird zumindest dem Wildwuchs der Kampf angesagt. Ob dabei viel Ersparnis herauskommt, muss zwar angezweifelt werden. Aber wie so vieles in Koalitionsverträgen, dient auch dieser Passus mehr der guten Atmosphäre – als demonstrativer Wille.“

„Hessische-Niedersächsische Allgemeine“: „Die Zeit des Schönredens muss vorbei sein. Jetzt entscheidet die Tat. Die Menschen haben genug von Ankündigungen und Erklärungen, warum alles so kompliziert ist. Sie lechzen danach, dass sich etwas ändert. Der jüngste Wahlkampf hat über alle Parteigrenzen klargemacht, dass sich die Bürger nach persönlicher Freiheit, Vereinfachungen und Verlässlichkeit bei vielen Themen wie Klima, Rente und Migration sehnen. Daher sind die 146 Seiten nur ein Anfang. Entscheidend wird sein, was wie umgesetzt wird.“

„Saarbrücker Zeitung“: „Der Preis, den insbesondere der Kanzler in spe, CDU-Chef Merz bezahlt hat, ist sehr hoch. Statt mit einem Vertrauens- und Beliebtheitsvorschuss in Deutschlands mächtigstes Amt zu starten, hat er gewaltig an Glaubwürdigkeit verloren. Zu viel hat er im Wahlkampf über die Schuldenvermeidung gesprochen, zu selbstbewusst einen grundsätzlichen Wandel bei der Migration mit seiner ‚Richtlinienkompetenz‘ versprochen, billigend die Stimmen der AfD für diesen Kurs in Kauf genommen. (…) ‚Ich weiß, dass ich jetzt einen sehr hohen Kredit in Anspruch genommen habe, auch was meine persönliche Glaubwürdigkeit betrifft‘, sagte Merz öffentlich. Es wird für ihn nun darum gehen, diesen schnell zurückzuzahlen.“

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