Mehrere Hochschulen in Hessen haben sich vor Jahren zu einem Verzicht auf Militärforschung verpflichtet. Angesichts aktueller Bedrohungen will das Land über mögliche Änderungen reden. Worum geht es?
In Europa tobt Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine – können sich einige hessische Hochschulen weiter ihren Ausschluss militärischer Forschung leisten? Längst ist im Bundesland eine Debatte über ihre freiwilligen sogenannten Zivilklauseln entbrannt. Bereits im schwarz-roten Koalitionsvertrag ist von einer „Unterstützung der Hochschulleitungen bei der Überprüfung von Zivilklauseln“ die Rede. Kürzlich hat sich auch der Wiesbadener Landtag damit befasst.
Hessens Wissenschaftsminister Timon Gremmels (SPD) teilt der Deutschen Presse-Agentur mit, die umstrittene Rede von US-Vizepräsident J.D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz und die „unberechenbaren Äußerungen“ von US-Präsident Donald Trump trügen maßgeblich zur Neubewertung der sicherheitspolitischen Lage bei. „Aus meiner Sicht müssen wir die Zivilklauseln mit den Hochschulen intensiv diskutieren – natürlich unter Berücksichtigung der Hochschulautonomie“, erklärt Gremmels.
Minister: Bundeswehr-Milliarden auch für hiesige Wertschöpfung
„Angesichts zusätzlicher Milliarden für die Bundeswehr sollte darauf geachtet werden, dass möglichst viel davon zur Wertschöpfung in Deutschland beiträgt. Da brauchen wir auch Fachkräfte, die hier ausgebildet wurden und die hier studiert haben.“ Mit Blick auf das Grundgesetz ergänzt der Minister, dass Hochschulen „in der Wahl der Inhalte von Lehre und Forschung sowie der Partner für Forschungsprojekte“ gleichwohl frei seien.
Der FDP-Landtagsabgeordnete Matthias Büger hat kürzlich noch härter formuliert: „Angesichts der aktuellen politischen Lage ist es notwendig, dass die Forschung zur Sicherheit unserer Freiheit beiträgt. Stattdessen blockieren Zivilklauseln weiterhin wichtige militärische Forschung an hessischen Hochschulen.“ Büger fordert „klare gesetzliche Vorgaben, die Zivilklauseln verbieten – denn sonst wird die Forschungssicherheit und somit auch die Sicherheit des Landes und der Bürger gefährdet“.
Fünf staatliche Hochschulen im Land haben Zivilklauseln
Laut dem Wissenschaftsministerium haben sich fünf der 14 staatlichen Hochschulen in Hessen mit Zivilklauseln „eine freiwillige Verpflichtung auferlegt, keine Forschung mit militärischem oder sicherheitsrelevantem Nutzen zu betreiben oder zu unterstützen“. Es handelt sich um Hochschulen in Frankfurt, Kassel, Darmstadt, Marburg und Geisenheim im Rheingau. Zuvor hat die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ darüber berichtet.
Beispielsweise in der Präambel der Grundordnung der Hochschule Geisenheim, die sich allerdings auch auf die Themen Wein, Getränke, Lebensmittel, Gartenbau und Landschaftsarchitektur konzentriert, heißt es seit 2015: „Wir verfolgen in Forschung und Lehre ausschließlich zivile und friedliche Zwecke.“ Ein Hochschulsprecher teilt der dpa mit: „Eine Änderung unserer Grundordnung hinsichtlich der Zivilklausel ist nicht geplant.“
Frankfurter Uni hält an Zivilklausel fest
In der Präambel zur Grundordnung der Frankfurter Goethe-Universität ist seit 2013 das Ziel festgehalten: „Lehre, Forschung und Studium an der Goethe-Universität dienen zivilen und friedlichen Zwecken.“ An diesen Werten orientieren sich Lehre, Forschung und Studium, wie ein Sprecher der Uni mitteilt. Auf welchem Weg das Ziel einer zivilen, friedlichen Welt erreicht werden soll, lasse die Formulierung offen.
Konkrete aktuelle Initiativen, die Grundordnung zu ändern, seien der Universitätsleitung nicht bekannt. Studentische Akteure, auch Hochschulgruppen, mahnten regelmäßig in öffentlichen Äußerungen den Erhalt der Zivilklausel an. Inwieweit solche Äußerungen repräsentativ für die Studierenden insgesamt seien, lasse sich nicht beziffern.
Auch in Kassel Appell zu Forschung mit zivilen Zwecken
„Die derzeitige weltpolitische Lage wird natürlich auch an der Universität Kassel wahrgenommen“, teilt ihr Sprecher mit. Bislang sei aber keine Bestrebung des Senats erkennbar, die Zivilklausel infrage zu stellen. „Sollte sich das ändern, wird die Universitätsleitung die Diskussion offen führen.“Die Grundordnung der Hochschule in Kassel sei 2013 auf Betreiben des Senats ergänzt worden. „Seitdem heißt es dort, dass ‚Forschung und Entwicklung, Lehre und Studium an der Universität Kassel (…) ausschließlich friedlichen Zielen verpflichtet‘ sind“, erläutert der Sprecher. Damit verbunden sei ein Appell an die Forscher, sich an zivilen Zwecken zu orientieren. Es gebe vereinzelt studentische Stimmen sowohl für eine Beibehaltung als auch für eine Abschaffung der Zivilklausel.
Mehrjährige Debatte an TU Darmstadt über Zivilklausel
An der Technischen Universität (TU) in Darmstadt gehört eine solche Regelung seit 2012 zur Grundordnung der Hochschule. „Die Zivilklausel ist Ergebnis eines intensiven, mehrjährigen Diskussionsprozesses in den Gremien der Universität“, heißt es bei der TU. Sie schreibe friedliche Ziele für Forschung, Lehre und Studium vor. Die Zwecke könnten allerdings zivil wie auch militärisch sein, solange sie nicht unfriedlich seien.
Die Klausel soll der Uni zufolge Forschende dazu anregen, regelmäßig über die ethische Dimension ihrer Projekte nachzudenken. „Sie unterstützt unseren Anspruch, die Auswirkungen unserer Forschung zu reflektieren. Dies ist für uns als autonome Universität eine selbstverständliche Aufgabe verantwortungsbewusster Wissenschaft.“ Es gebe keine Motivation, die Klausel abzuschaffen. Seit 2014 habe die Ethikkommission 33 Fälle mit Bezug auf die Zivilklausel behandelt. Sechs Anträge seien abgelehnt worden.