Prozessauftakt: „Reichsbürger“-Prozess: Einschüchterung als Strategie

Die Verlesung der Anklage dauert Stunden: Wegen einer Unmenge von Drohschreiben an Thüringer Behörden stehen in Mühlhausen zwei mutmaßliche „Reichsbürger“-Rädelsführer vor Gericht.

Sie sollen Thüringer Behörden über Jahre hinweg mit einer Flut an Droh- und Erpressungsschreiben überschwemmt und Sacharbeiter eingeschüchtert haben: Zwei mutmaßliche Rädelsführer einer sogenannten Reichsbürger-Gruppe stehen unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen vor dem Landgericht Mühlhausen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen unter anderem die Bildung einer kriminellen Vereinigung, versuchte Nötigung und versuchte Erpressung vor. Die beiden 54 und 52 Jahre alten Männer, die mit Fuß- und Handfesseln in den Gerichtsaal geführt wurden, wollten mit den Schreiben laut Anklage staatliche Zahlungsverpflichtungen abwehren. 

Angeklagt sind mehr als 300 Fälle, in denen die beiden Männer Schreiben an Behörden und Gerichte – insbesondere an das Finanzamt – verfasst haben sollen. Darin sollen sie unter anderem in nötigender Weise zur Datenauskunft, zur Zahlung und sonstigen Handlungen sowie zum Staatsangehörigkeitsnachweis aufgefordert haben. Die Angeklagten hätten aus einer radikalisierten ideologischen Grundhaltung und aus einem Gewinnstreben heraus gehandelt, sagte Staatsanwalt Benedikt Ballhausen bei der Verlesung der umfangreichen Anklageschrift, die sich über Stunden zog. 

Familienmitglieder indoktriniert 

Die Angeklagten hätten als Staatsleugner agiert und unter anderem Fantasieausweise besessen, sagte Ballhausen. Sogenannte Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht an. Die Gruppierung sei Ende 2020 aus dem Familienkreis des 54 Jahre alten, verschuldeten Landwirts und Edelmetallhändlers heraus entstanden. Die Vereinigung, zu der etwa auch die Ehefrau sowie der Sohn und die Tochter des 54-Jährigen gehören sollen, habe mit kriminellen Geschäftsmethoden und in hoch organisierten Verwaltungsstrukturen gearbeitet, führte Ballhausen aus. 

Ziel sei die systematische Einschüchterung von Gläubigern und Behördenmitarbeitern gewesen. So sei auf Behördenschreiben mit eigenen Mahnungen und Forderungen in Millionenhöhe reagiert worden. Damit sollten die jeweiligen Sachbearbeiter dazu bewegt werden, von bestehenden Forderungen Abstand zu nehmen. Der ältere Angeklagte sei als „verbaler Aggressor“ gegenüber Behörden aufgetreten, sagte Ballhausen. 

Gewaltfantasien und Waffenaffinität

Zu der Vereinigung sollen zwölf weitere Beschuldigte gehören, gegen die noch ermittelt wird. Unter Führung der Angeklagten seien den Mitgliedern verschiedene Aufgaben wie Sekretariats- und Netzwerkarbeit oder die Beobachtung von Gerichtsverhandlungen zugekommen. Der Gruppe bescheinigte der Staatsanwalt Zersetzungs- und Einschüchterungsmethoden sowie eine Affinität zu Waffen. Es seien deutliche Gewaltfantasien gehegt worden, so Ballhausen.

Dem älteren Angeklagten wird darüber hinaus auch Umsatzsteuerhinterziehung in drei Fällen mit einer Summe von mehr als einer halben Million Euro vorgeworfen. 2021 soll er laut Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit einem von ihm betriebenen Edelmetallhandel die entsprechenden Umsatzsteuervoranmeldungen nicht abgegeben haben.

Die beiden Angeklagten sitzen seit Mai vergangenen Jahres in Untersuchungshaft. Für den Prozess sind vor dem Landgericht Mühlhausen zunächst Termine bis zum 10. Juli dieses Jahres angesetzt worden.

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