Koalitionsverhandlungen: Zweifel an Merz wachsen: Stoppt er jetzt die Wünsch-Dir-was-Koalition?

Diese Woche wird entscheidend für die Gespräche zwischen Union und SPD. Friedrich Merz braucht jetzt eine politische Idee und den Willen zum Sparen. Leicht wird’s nicht.

Friedrich Merz wird in dieser Woche sein ganzes Verhandlungsgeschick aufbieten müssen. Doch wie viel er da wirklich in die Waagschale legen kann, darüber gibt es auch in der Union Zweifel. „Er hat solche Koalitionsgespräche noch nie gemacht“, sagt ein erfahrener Christdemokrat. „Das macht mir schon Sorgen.“

Seit Freitag tagt nun die 19-köpfige Steuerungsgruppe von CDU/CSU und SPD. Es beginnt die entscheidende Phase der Koalitionsverhandlungen, Anfang April wollte man eigentlich fertig sein. Das wird wohl nichts. Jetzt werden erstmal die Ergebnisse der 16 Arbeitsgruppen diskutiert. Ein insgesamt 162-seitiges Dokument haben die vorgelegt. Und jeder einzelne Punkt ist öffentlich geworden. 

Friedrich Merz muss zentrale Konflikte selbst lösen

Nur wenige zentrale Konflikte, auch das ist damit bekannt, sind gelöst: Besonders in der Steuerpolitik, in der Energiepolitik und in der Wirtschaftspolitik stehen sich widerstreitende Politikansätze gegenüber. In der Migrationspolitik gibt es zwar eine grundsätzliche Einigkeit, aber der Teufel steckt hier im Detail. 

Und über allem schwebt das Thema der Finanzierung. Einen mittleren dreistelligen Milliardenbetrag haben die Fachpolitiker da zusätzlich zusammenverhandelt, erfuhr der stern aus Verhandlungskreisen. Trotz der Schuldenpakete ist nicht klar, wie große Teile davon finanziert werden sollen. Am Freitag und Samstag war das dem Vernehmen nach das Hauptthema der Verhandler. 

Friedrich Merz muss das alles jetzt mit SPD-Chef Lars Klingbeil regeln. Immerhin Duzen sich beide jetzt, so konnten es aufmerksame Zuhörer am Freitag beim Verhandlungsstart hören. Das schafft Vertrauen für die schwierigste Phase. Beide Männer dürften ihre Grenzen jetzt austesten und die ihrer Parteien, vielleicht auch darüber hinweggehen. Aber kann Merz das? Und wie weit darf er noch gehen?

Er selbst sagte am Freitag, das Konvolut lese sich an einigen Stellen wie ein „Wünsch-Dir-Was“-Programm. Merz droht deshalb: „Wir werden umfassend sparen müssen.“ Man müsse sich jetzt über „das gemeinsame Grundverständnis“ einigen, erklärt der designierte Bundeskanzler. „Wir müssen ein gemeinsames Bild zeichnen, wie Deutschland im nächsten Jahrzehnt aussehen soll.“

Merz stellt den von ihm geführten Koalitionsgesprächen damit selbst ein schlechtes Zeugnis aus.

Kritik an Friedrich Merz aus der CDU wächst

Viele in der Union sehen sich in der Kritik am eigenen Chef bestätigt: Steht genau das nicht am Anfang von Verhandlungen? Hätte er den Arbeitsgruppen nicht schon klare Sparvorgaben auf den Weg geben müssen? Den Fachpolitikern ein Leitbild entwerfen sollen? „Das kann man alles vorher regeln“, sagt ein Christdemokrat. „Aber es galt: Hauptsache, schnell, schnell…“ Auch in der SPD hat man zuweilen den Eindruck, dass es in der CDU an strategischer Planung fehlt. Freilich zum Gefallen der Sozialdemokraten. 

Für Friedrich Merz wird die Kritik aus den eigenen Reihen zunehmend zum Problem: Der 69-Jährige steht in seinem eigenen politischen Lager extrem unter Druck. Die CDU verliert nach dem schwachen Wahlergebnis weiter an Zustimmung. Schon im Laufe der Woche drohten 18 junge Abgeordnete im stern mit Revolte. Am Sonntag schickten 65 Wirtschaftsverbände einen Brandbrief an ihn und SPD-Chef Klingbeil. Darin forderten sie ein Streichen sämtlicher Zwischenergebnisse, die aus ihrer Sicht die Wirtschaftskrise verstärken. 

Der ehemalige Vorsitzende der Grundwertekommission der CDU, der Historiker Andreas Rödder, erklärte derweil, seine Partei sei vom links-grünen Lager „in babylonische Gefangenschaft genommen“ worden. Merz hatte Rödder selbst einst in das Amt befördert. Ihn müssen die Worte besonders schmerzen: Es ist sein altes Fanlager, aus dem die Kritik derzeit am lautesten dringt. „Viele fühlen sich verarscht“, sagt eine Christdemokratin.

„Es sind die Geister, die er rief…“

In der SPD hat man wenig Mitleid. „Es sind die Geister, die er in den letzten Jahren gerufen hat“, sagt ein SPD-Vorstandsmitglied dem stern. Merz habe Deutschland zum kranken Mann Europas geredet, SPD und Grüne zu Feindbildern erklärt, im Wahlkampf Dinge versprochen, die er kaum halten könne. „Er sprach davon, Gesetze abzuschaffen, Migration zu stoppen, Schulden abzulehnen“, sagt der erfahrene Politiker. Jetzt werde er Gesetze reformieren, Migration begrenzen, Schulden machen. „Nicht als Zugeständnis an uns, sondern weil so Politik funktioniert.“ Die Frage sei, ob er das seinen Leuten vermitteln könne. Da gibt es in der SPD Bedenken. 

Wer das Defizit langfristig mit Schulden begleichen will, stürzt Deutschland in eine Staatsschuldenkrise.

Und offenbar nicht nur dort. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst mahnte bei seinem Chef im Laufe der Woche öffentlich mehr Mut zu Wahrheit an. „Wenn viele Leute das Gefühl haben, dass durch diese Beschlüsse zu Schuldenbremse und Sondervermögen eine andere Positionierung vorgenommen worden ist, dann ist das ja nachvollziehbar“, sagte Wüst bei in der Sendung „Maischberger“. Es sei „schlicht die Wahrheit“, dass man die eigene Position geändert habe. Da dürfe man den Menschen nichts vormachen, sagte Wüst. „Die Leute sind ja nicht blöd.“ Es war eine kaum verhohlene Kritik an der schlampigen Kommunikation des Parteivorsitzenden.

Hinzu kommt ein weiteres Problem. Es ist weniger kommunikativer als haushaltspolitischer Natur: Die neue Koalition schwimmt trotz der gelockerten Schuldenregeln nicht in Geld. Der Haushalt hat schon jetzt ein strukturelles Defizit, also mehr Ausgaben als Einnahmen. Die Ausgabenwünsche der CSU belaufen sich bei der Mütterrente und der Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie auf zusätzliche Milliarden, die CDU will die Unternehmenssteuern senken, nochmal ein zweistelliger Milliardenbetrag. Die SPD wiederum sperrt sich gegen größere Einschnitte bei der Rente oder Sozialmaßnahmen.

Woher das Geld also kommen soll? Tja. Das dürfte in den kommenden Tag der größte Streit zwischen den Verhandlern werden. „Wer dieses Defizit langfristig mit Schulden begleichen will, stürzt Deutschland in eine Staatsschuldenkrise“, sagt ein erfahrener Haushälter. Friedrich Merz steht ein weiterer Kraftakt bevor: Er muss dem Volk, der ausgabefreudigen CSU und der wenig sparsamen SPD nun erklären, wo er kürzen will. 

Verlieren sich die Verhandler in den Details?

Die Sorge ist in CDU und SPD gleichermaßen groß, dass sich die Verhandler durch das Bekanntwerden aller Zwischenergebnisse nun mit täglich neuen kleineren Konflikten befassen. Dass man sich in Details verliert. Jeden Tag wird öffentlich ein anderer Spiegelstrich der 162-seitigen Sammlung der Zwischenergebnisse diskutiert, ob es ein angebliches Verbot von Lügen ist oder der Angriff auf das Informationsfreiheitsgesetz. 

Ich würde empfehlen, diese Papiere jetzt wegzulegen und sich sehr schnell über eine gemeinsame Grundlage zu verständigen.

Schon am Samstag hatte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt von der „Clearing-Phase“ der Gespräche gesprochen, ganz so, als sei man fast fertig. Einer, der viele Koalitionsgespräche mitgemacht hat, sagt: Man könne nach Lektüre der Ergebnisse der Arbeitsgruppen kaum von einer Zielgeraden sprechen. „Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit“, so der regierungserfahrene Politiker. „Ich würde empfehlen, diese Papiere jetzt wegzulegen und sich sehr schnell auf eine Grundlage zu verständigen.“ 

Letzteres könnte im Sinne des CDU-Chefs sein. Friedrich Merz muss seiner Partei schnell liefern, was er bislang schuldig blieb: die Idee eines konservativen Deutschlands und ausreichend christdemokratische Verhandlungserfolge, um sie glaubhaft zu machen. „Sonst steigt uns die Basis aufs Dach“, sagt ein Christdemokrat. „Bei den Kreisgeschäftsführern brennt die Hütte, da sammelt sich die geballte Wut der Mitglieder.“

Merz ließ zuletzt durchblicken, dass ihm seine schwierige Lage durchaus nicht verborgen geblieben ist. „Ich weiß, dass ich jetzt einen sehr hohen Kredit in Anspruch genommen habe, auch was meine persönliche Glaubwürdigkeit betrifft.“ Und, wie das so ist mit Krediten, wer sie rasch zurückzahlen will, muss klug haushalten. Ein bunte Wünsch-Dir-Was-Koalition werden ihm seine Leute kaum durchgehen lassen. Seine Wähler mutmaßlich noch weniger.

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