In der US-Regierung auf Signal, bei der deutschen Polizei wie auch in jeder normalen Paarbeziehung: In Chat-Gruppen offenbart der Mensch sein eigentliches Wesen.
„Mir hat ein Vogel auf den Kopf geschissen“ – soll ja keiner sagen, in den privaten Chats zwischen meiner Frau und mir gebe es keine spektakulären Infos.
Zugegeben, die jüngst veröffentlichte Kommunikation innerhalb des führenden amerikanischen Sicherheitskreises ist von größerer Relevanz, stilistisch allerdings sind kaum Unterschiede festzustellen zu handelsüblichen WhatsApp-Gruppen.
Good Start in der Signal-Gruppe!
Das dürfte auch der Journalist Jeffrey Goldberg gedacht haben, als US-Sicherheitsberater Mike Waltz ihn (versehentlich) in seine Signal-Chatgruppe aufnahm und er fortan mitlesen durfte, dass und wie Verteidigungsminister Pete Hegseth und Vizepräsident J.D. Vance militärische Operationen gegen die Huthi im Jemen besprachen. Da wurden Bombenabwürfe mit 53 Toten dann auch schon mal mit „a good start“ oder mit 👊🇺🇸🔥 kommentiert.
Nichts gegen die große Transparenzoffensive, aber selbst ein US-Präsident wie der aktuelle dürfte kein Interesse daran haben, dass bei den nächsten vertraulich geteilten Militärstrategien Putin in die Gruppe hinzugefügt wird.
Was hat uns eigentlich so überrascht? Die Sorglosigkeit beim Teilen von Militärgeheimnissen? Oder dieser brutale Unernst, diese Tonalität auf Vereinsheimniveau? Jede Ultra-Gruppe vom MSV Duisburg wirkt sachlich-nüchtern dagegen. Aber was wundern wir uns? Mach‘ Miss Piggy zum Präsidenten, und du hast die Muppet Show am Kabinettstisch. Vielleicht ganz gut, dass wir künftig nicht mehr vom Schutz dieser Clowns abhängig sein werden.
Wer weiß: Nächste Woche willst du in der Elterngruppe eigentlich nur klären, wer Nudelsalat mitbringt, und als Nächstes schreibt da der US-Verteidigungsminister, dass er Drohnen nach Kopenhagen schickt.
Andererseits: Sich vor der gesamten Öffentlichkeit als Idiotentruppe outen – dafür braucht Team Trump doch keinen geleakten Chat, da reicht eine normale Pressekonferenz.
Mit Freud gesagt: Chats sind das Es
Ein Journalist, der in vertrauliche Kommunikation einbezogen wird, das war in Deutschland eigentlich immer „Bild“-Reporter Paul Ronzheimer, der Bescheid wusste, wenn ein Paar CDU-Leute in MPKs oder Sondierungen wieder das Wasser nicht halten konnten.
Veröffentlichte Chats sind der Schlüsselroman tagesaktueller Berichterstattung. Sie liefern Aufschluss darüber, wie eine Person oder Institution wirklich drauf sind. Zahlreiche veröffentlichte Wortwechsel haben recht deutlich belegt, dass es bei der Polizei ein massives strukturelles Rassismusproblem gibt. Und bevor alle anfingen, sich möglichst schnell mustern lassen zu wollen, hatte die Bundeswehr ein ganz ähnliches (Image-)Problem.
Mit Sigmund Freud formuliert: Chats sind das Es. Sie dienen uns als Erkenntnis darüber, was im Individuum los ist, bevor das Über-Ich vor dem Gang in die Öffentlichkeit nochmal die Krawatte richtet. Bedauernswerte Figuren wie die Ex-Bundesministerin Anne Spiegel stolperten nicht zuletzt über die kalte und ignorante SMS-Kommunikation, als sie noch Landesministerin war während der Ahrtal-Flutkatastrophe. „Kein Extremhochwasser zu erwarten…Bitte noch gendern: CampingplatzbetreiberInnen. Ansonsten Freigabe.“ Na, Mahlzeit.
Merkel: Verschwiegen bis in die Autobiografie
Dafür, dass Chatgruppen auch in der Politik nicht selten dazu da sind, auch mal Dampf abzulassen, dringt eher wenig nach außen. Angela Merkel, von der es immer heißt, sie könne andere so gut imitieren, hat das mit der Verschwiegenheit sogar bis über das Veröffentlichen der eigenen Autobiografie durchgezogen.
Ihr Vorvorgänger Helmut Kohl wiederum diktierte seinem Ghostwriter Heribert Schwan ganz oldschool analog ein paar tolle Verbalinjurien über Angela ██████████ Merkel oder ██████ Rita Süßmuth aufs Band – und klagte schließlich (leider erfolgreich) gegen deren Veröffentlichung.
Nun dürfen wir nicht päpstlicher sein als der Papst. Die meisten von uns haben in Chatgruppen oder SMS-Wechseln einen Ton, bei dem selbst Klaus Kinski erröten würden. Die meisten Paare bleiben nur noch zusammen, weil sich im WhatsApp-Speicher des anderen soviel Komprimat angesammelt hat, nur: Wir sind halt eben auch nicht Teil des Kabinetts von Donald Trump. Wären wir nur ein bisschen reicher, dümmer oder Alkoholiker – dann könnten wir es sein. Und könnten uns mit unserer Dummheit praktisch selber auf den Kopf scheißen. Anstatt darauf zu warten, dass es andere tun.