Pöbeln im Bundestag: Ein Abgeordneter wird besonders häufig ausfällig

Fast noch nie wurde im Bundestag so viel beleidigt wie in dieser Legislatur. Vor allem ein Politiker fällt immer wieder mit unangemessenem Verhalten auf.

Es ist ein trauriger Rekord: Fast noch nie wurde im Deutschen Bundestag so viel gepöbelt und beleidigt wie in dieser Wahlperiode. Auf insgesamt 129 Ordnungsrufe und 26 Rügen beläuft sich die Bilanz laut Angaben des Bundestags. Nur in der allerersten Wahlperiode 1949-1953 war der Ton noch rauer: Damals wurden 156 Ordnungsrufe (und keine Rüge) erteilt. 

Statistik: Die AfD verroht die Sitten

Die Verrohung der Sitten im Bundestag lässt sich dabei eindeutig auf die AfD zurückführen. Von den 129 Ordnungsrufen dieser Legislatur gingen allein 85 auf das Konto der Alternative für Deutschland, 13 entfielen auf fraktionslose Abgeordnete wie Robert Farle, der für die AfD einzog, ihr inzwischen aber nicht mehr angehört. Elf Mal kassierten SPD-Parlamentarier einen Ordnungsruf, gefolgt von den Grünen (7), der Linken (6), Union (4) und FDP (2).

Das Wagenknecht-Bündnis BSW verdarb sich seine gute Benehmens-Bilanz in der letzten Fraktionssitzung am Dienstag, als Abgeordnete der Gruppe während der Debatte um das Schuldenpaket von Union und SPD Plakate mit der Aufschrift „1914 wie 2025 – Nein zu Kriegskrediten“ hochhielten. Weil das Zeigen von „Spruchbändern oder Transparenten“ jeder Art im Bundestag laut Hausordnung (Paragraf 4, Absatz 2) verboten ist, sprach die scheidende Vize-Bundestagspräsidentin Petra Pau dafür einen Ordnungsruf an alle BSW-Parlamentarier aus, die ein Schild hochgehalten hatten.

Und noch einer wollte in der letzten Sitzung des Bundestags der 20. Wahlperiode offenbar um jeden Preis noch einmal auffallen: Der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner bekam einen Ordnungsruf, nachdem er Friedrich Merz als „Pinocchio-Fritze“ bezeichnet hatte. 

Brandner bringt es damit auf die meisten Ordnungsrufe, insgesamt 20. Damit liegt er knapp vor seiner Fraktionskollegin Beatrix von Storch, die 19 Mal zur Ordnung gerufen wurde. Diese wirft der Präsidiumsleitung doppelte Standards vor. „Bei der Vergabe von Ordnungsrufen wird nach politischer Opportunität entschieden und mit zweierlei Maß gemessen“, sagte von Storch zum stern. Vertreter anderer Fraktionen würden für gleiche Äußerungen nicht belangt.

Die AfD pöbelt und wird bepöbelt

Die Protokolle der Bundestagssitzungen stützen diese Behauptung nicht. Sie zeigen vielmehr, dass die jeweiligen Sitzungsleitungen sehr bemüht waren, auch dann zu ahnden, wenn ein Verstoß aus der eigenen Fraktion kam. 

Was die Protokolle auch zeigen: Äußerungen, die bei den anderen Fraktionen zu Ordnungsrufen führten, galten fast immer der AfD. So bezeichnete die damalige FDP-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann am 17. Juni 2024 kurz vor ihrem Wechsel ins Europarlament die Alternative als „Nachfolger der Nationalsozialisten“ und holte sich dafür einen Ordnungsruf von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) ab. In der Sitzung zuvor hatte AfD-Fraktionschef Chef Tino Chrupalla Strack-Zimmermann eine „Kriegstreiberin“ genannt.

Von Storch ist auf ein Thema fixiert

Besonders häufig beleidigten Vertreter der Alternative aber Abgeordnete der Grünen. Mal nannte der AfD-Politiker Eugen Schmidt den Grünen Tobias Bacherle einen „langhaarigen ungedienten Kriegstreiber“, dann wieder hielt sein Parteifreund Martin Reichardt es für geistreich, über die „übergewichtige Ricarda Lang“ zu spotten. Beatrix von Storch tat sich immer wieder damit hervor, Gegner und Gegnerinnen des Abtreibungsverbots-Paragrafen 2018 als „Kindermörder“ zu beschimpfen.

Bei den Rügen zeigt sich ein ähnliches Bild. Von den 26 Rügen, die in dieser Legislatur bis Ende Januar ausgesprochen wurden, betrafen allein 13 die AfD. Auf Platz zwei folgt mit sehr großem Abstand die SPD: Viermal mussten sich Sozialdemokraten rügen lasen. Zweimal traf es eine Linke, einmal eine Grüne, einmal einen FDP-Parlamentarier. Die Union erhielt keine Rüge.

„Niemals ein Stinktier überstinken“

Auch bei Pöblern führt der AfD-Abgeordnete Brandner die Statistik an, er wurde insgesamt dreimal gerügt. Mal rief er der Grünen-Abgeordneten Irene Mihalic zu: „Sie sind extrem blöde.“ Ein anderes Mal mokierte er sich über die Kleidung der Grünen Renate Künast. Als diese Brandner beschimpfte, weil er eine andere Abgeordnete „Sprechpuppe“ genannt hatte, kassierte sie prompt selbst eine Rüge. Ex-Linken-Chefin Janine Wissler erhielt eine Rüge, weil sie im Bundestag über die AfD sagte: „Man sollte niemals versuchen, das Stinktier zu überstinken, wie es Union und Ampel gerade tun.“

Immer weniger Respekt im Bundestag

Bundestags-Vize Katrin Göring-Eckardt (seit 1998 im Bundestag) sieht die AfD als Hauptverursacher für die zunehmende Respektlosigkeit im Bundestag. „Seitdem die AfD im Bundestag sitzt, gehören leider Pöbeleien und Beschimpfungen vor allem gegen Frauen, die ans Rednerpult treten, zum parlamentarischen Alltag“, so die Grünen-Politikern zum stern. „Das hat mit politischer Debatte rein gar nichts mehr zu tun.“ Als Vizepräsidentin bleibe ihr nichts anderes übrig, als „die Regeln gegen solche Pöbler durchzusetzen“. 

Klarheit und Zuspitzung könnten in der politischen Auseinandersetzung hilfreich sein, so Göring-Eckardt. Aber: „Beleidigungen und Pöbeleien vergiften das Klima, nicht nur der politischen Debatte, sondern auch im Miteinander insgesamt.“ 

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