Netflix-Hit: Dieser Moment in „Adolescence“ bringt die ganze Serie auf den Punkt

„Adolescence“ führt die Netflix-Charts an: Die britische Serie um einen Teenager, der aus Frauenhass eine Mitschülerin tötet, trifft einen Nerv. Warum vor allem die dritte Folge perfektes TV ist.

„Adolescence“ sorgt für Beklemmung und für Gesprächsstoff: Auch in Deutschland führt die britische Miniserie über einen Dreizehnjährigen, der ein Mädchen tötet, die Netflix-Charts an. Die Show geht der Frage nach, wie es so weit kommen konnte – und zeichnet ein düsteres Bild von den frauenfeindlichen Einflüssen, die auf junge Männer im Netz einwirken, der sogenannten „Manosphere“. Der Mörder Jamie, gespielt von Owen Cooper, sieht sich als „Incel“, also als Mann, der unfreiwillig zölibatär lebt und das als Grundlage für seinen Frauenhass nimmt.

Neben den großartigen Schauspielern ist es auch ein filmischer Trick, der die Serie besonders intensiv macht: Jede Folge kommt ohne Schnitt aus, wird in Echtzeit als eine einzige Kameraaufnahme gezeigt.

Aus der brillanten Show sticht die dritte Folge noch einmal heraus, in der der jugendliche Mörder Jamie in Haft auf die Psychologin Briony Ariston (Erin Doherty) trifft. Sie soll ein Gutachten über ihn erstellen, herausfinden, was sein Motiv für den Mord war und inwieweit er seine Tat versteht. Hier wird „Adolescence“ zum mitreißenden Kammerspiel, denn bis auf wenige Momente, in denen die Psychologin den Raum verlässt, findet alles an einem Tisch statt. Wie das Gespräch der beiden kippt und Jamie durch Brionys kluge Fragen zwischen kindlicher Sehnsucht nach Anerkennung und angsteinflößender Rage wechselt, ist ein beeindruckendes, perfektes TV-Erlebnis. 

„Adolescence“ zeigt auch Alltags-Sexismen

Und dann gibt es da diesen Moment, der unscheinbar wirkt, aber vielleicht die ganze Serie auf den Punkt bringt. Briony versucht, sich an das Männerbild von Jamie heranzutasten, stellt dazu Fragen zu Jamies erstem männlichen Vorbild, seinem Vater. Was macht der so, wie ist der so drauf? Dann fragt sie: „Hat dein Vater auch weibliche Freunde?“ Die offensichtliche Verwirrung in Jamies Gesicht, als er damit konfrontiert wird, dass man Frauen auch als etwas anderes als Körper sehen kann, die Sex verweigern, spricht Bände. Denn es sind eben nicht nur die dunklen, ideologischen „Incel“-Tiefen des Webs, die misogyne Denkmuster prägen, sondern auch die kleinen Sexismen im Alltag. Kinder lernen von ihrem Umfeld, sie sind oft aufmerksamer und feinfühliger als manche Erwachsene. Und wenn der Vater nicht mit Frauen befreundet ist, keine Bücher von Frauen liest, keine Musik von Frauen hört, wenn Frauen überhaupt nur als Dienstmädchen oder potenzielles Sexualobjekt in Erscheinung treten, dann schneiden das die Kinder mit. 

Nach dem Erfolg der Show wird wieder viel über die Gefahren von Social Media diskutiert, auch über Mobbing an Schulen, fehlende Vorbilder für Jungs und die Verantwortung der Eltern, mit ihren Kindern in Kontakt zu bleiben. Das ist wichtig und richtig. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass ein Handy-Verbot nur bedingt hilft, wenn im Umfeld Frauenfeindlichkeit vorgelebt wird – sei es noch so unbewusst und harmlos gemeint. Denn Jamies Vater wird keineswegs als dusseliger Macho dargestellt. Er liebt seine Ehefrau, spielt mit dem Sohn samstags Fußball, geht mit seinen Kumpels ins Pub, wird manchmal ein bisschen lauter – schämt sich aber dann dafür. Gerade weil alles so normal erscheint und es nicht die eine, ausschlaggebende Erklärung für die grausame Tat gibt, geht die Serie so nah.  

Eigentlich ist „Adolescence“ gut darin, die kleinen, beiläufigen Sexismen im Alltag zu zeigen: In Folge drei ist es etwa der unangenehme Gefängniswärter, der meint, Briony – einer offensichtlich hoch qualifizierten Fachkraft – etwas über Körpersprache beibringen zu müssen. In der zweiten Folge ist es die Lehrerin, die die weibliche Polizei-Kollegin nicht einmal vorstellt, solange der männliche Polizist anwesend ist. Es sind Kleinigkeiten, die sich häufen, aber die vermutlich trotzdem vielen Zuschauern nicht auffallen werden. Die aber auch den Boden genährt haben, für die Ideologien, denen Jamie verfällt. „Fake News“, nennt er die Beweise gegen ihn und tut sich vor Briony als toller Kerl hervor, weil er das Opfer immerhin nicht vergewaltigt habe. 

Am Ende der dritten Folge bleibt die Psychologin weinend und mit einem Würgereiz zurück. Und der Zuschauer mindestens mit einem Kloß im Hals.

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